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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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hätte sie verstimmt. Sie mag Annes Eltern nicht. Sagen Sie es nicht weiter. Sie behauptete, sie würden mich zu sehr lieben. Wie einen eigenen Sohn. Mein rasierter Schädel, meine Totenkopf-T-Shirts, ist ihnen alles scheißegal. Fass dich kurz, sagte ich ihm.
    Kurzum, sagte er, um meiner Mutter das Schlimmste zu ersparen, hatten wir beide, Anne und ich, nach reiflicher Überlegung beschlossen, Dingo zu Annes Eltern mitzunehmen. Sie sind nett. Sie hätten Verständnis gehabt. Ich weiß nicht, wie Dingo reagiert hätte. Wer weiß das schon bei ihm? Ob er Annes Eltern gemocht hätte? Das ist allerdings noch die Frage. Aber ist ja unwichtig, weil wir nicht hingefahren sind. Ich hatte gerade seinen Korb rausgeholt, da klingelte das Telefon.
    Anne wagte das Gespräch nicht anzunehmen. Sie war hier nicht zu Hause. Sie kümmerte sich weiter um den Katzenkorb, und Jamie hob ab.
    Monsieur Nardis? Eine verlegene, vorsichtige Stimme. Am Apparat, sagte Jamie. Zögernd: Ist das wirklich der Anschluss von Monsieur Nardis? Das sagte ich doch gerade. Die Stimme: Und ich habe die Ehre mit Monsieur Nardis? Höchstpersönlich, sagte Jamie, aber ich bin in Eile, wenn Sie zur Sache kommen könnten?
    Die Stimme: Monsieur Simon Nardis? O nein, sagte Jamie, es ist sein Sohn, mit dem Sie die Ehre haben, und der ist in Eile. Die Stimme: Ihr Vater ist nicht da? Nein, sagte Jamie, er ist unterwegs, warum, worum geht es, und wer sind Sie überhaupt? Die Gendarmerie, sagte die Stimme.
    Anne hatte den Korb fertig. Sie sah ihren Freund an. Fragte sich, was los war. Sah ihn forschend an. Jamie legte die Hand über die Sprechmuschel: Die Gendarmerie, sagte er. Anne und er sahen sich zwei oder drei lange Sekunden an, bis: Sind Sie noch da?, fragte die Stimme.
    Ich bin noch da, sagte Jamie, mein Vater ist nicht da, aber ich bin da, was ist los? Es geht um Ihre Mutter, sagte der Gendarm. Jamie: Was ist mit meiner Mutter? Sie hat einen Unfall gehabt, sagte der Gendarm. Jamie: Wo? Der Gendarm umschrieb ihm die Stelle mit der Präzision maritimer Längen- und Breitenangaben. Wir haben den Wagen geborgen, sagte er. Jamie: Der Wagen ist mir egal. Er ist fahrbereit, sagte der Gendarm. Jamie: Und meine Mutter?
    Die emotionalen Pole vertauschten sich. Die Stimme des Gendarmen wurde fest, laut. Jamies schwächer. Der Gendarm hatte keine Angst mehr. Jamie schon, es fing an. Der Schiss war vom Gendarmen auf Jamie übergegangen.
    Sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Der Gendarm nannte Ort und Krankenhaus, ein bestimmtes Krankenhaus in einem bestimmten Ort. Jamie: Ist sie verletzt? Antwort: Ja. Jamie: Ist es schlimm? Antwort: Ja, ziemlich. Jamie: Wie, ja, ziemlich, was soll das heißen? Antwort: keine Antwort. Jamie: So schlimm? Keine Antwort. Jamie: Ist sie tot, ist es das? Ja, sagte der Gendarm.
    Annes Augen hatten alle Farben, alle Größen angenommen. Sie folgte dem Gespräch. Wenn man es so nennen kann. Sie hörte nur die Antworten.
    Als Jamie sie wieder ansah, als er aufgelegt hatte und die Adresse des Krankenhauses noch einmal aufschrieb, diesmal sauber und lesbar, hatten Annes Augen unter der Lupe der Tränen die doppelte Größe erreicht.
    Dingo hatte sich beim Anblick des Körbchens verdrückt. Schon beim Geräusch des Weidenkorbes. Er hasste es, im Korb zu reisen. Weidenkorb bedeutete Ferien oder Tierarzt. Nein, danke. Ich verdrück mich.
    Jamie weinte nicht. Er hatte Angst. Sämtliche Fähigkeiten blockiert, das Gehirn außer Kontrolle, kämpfte er mit tausend Entscheidungen. Einfach so stehen bleiben, wie gelähmt, das wäre schön.
    Nein. Er sah Anne an. Dann den Korb. Dachte Katze. Annes Eltern, dann kamen Worte: Ich muss Papa benachrichtigen, und du, sagst du deinen Eltern Bescheid, dass wir nicht hinfahren, kommst du mit? Natürlich, sagte Anne. Ruf sie an, während ich nachdenke, sagte er und begann im Kreis zu laufen.
    Er sucht mich, dachte Dingo, der sich unter dem Sofa versteckt hatte. Dann fielen Jamie die Worte seiner Mutter wieder ein: Die Adresse und die Telefonnummer vom Hotel lege ich nebens Telefon. Er kehrte zum Telefon zurück.
    Anne sprach mit ihren Eltern. Er umkreiste Anne. Er versuchte zu sehen, ob irgendein Zettel auf dem Tischchen lag. Anne unterbrach sich. Sie sprach mit ihrer Mutter: Was suchst du? Gar nichts, sagte Jamie. Er wurde wütend. Entfernte sich vom Tischchen und schrie: Sie hat überhaupt nichts hingelegt.
    Und fing an, sie zu beschimpfen. Das machte er oft. Die Mutter als Sündenbock. War sehr aufbrausend und grob zu

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