Ein Abenteuer zuviel
feiner Unterschied, wenn wir der Reportage ein menschliches Gesicht verleihen wollen”, erklärte er und stand auf. „Also, auf zu Ihnen nach Hause.”
Ruth erhob sich ebenfalls. „Sie brauchen nicht mitzukommen”, erwiderte sie unsicher, während sie beobachtete, wie er sich die abgewetzte braune Fliegerjacke anzog. Plötzlich empfand sie leises Unbehagen bei der Vorstellung, dass dieser große, beeindruckende Mann sich in ihrer Wohnung aufhielt. „Ich kann Sie auch dort treffen … wenn Sie mir die Adresse geben …”
„Das kommt nicht infrage. Wir nehmen ein Taxi zu Ihnen. Wo wohnen Sie?”
Es ist lächerlich, so nervös zu sein, ermahnte sie sich energisch auf der Fahrt zu ihrem Apartment. Franco war kein Fremder, und es handelte sich auch um keinen richtigen Besuch. Er würde nur auf sie warten, während sie die Kleidung wechselte. Auch würde die Situation nicht erfordern, dass sie ihm einen Kaffee anbot. Und wenn du dich schnell umziehst, überlegte Ruth, kannst du ihn sogar an der Haustür warten lassen.
Warum hatte sie nur angenommen, dass er vielleicht höflich an der Wohnungstür stehen bleiben würde, während sie ins Schlafzimmer eilte, um die Kleidung zu wechseln? Sobald sie die Tür aufgeschlossen und geöffnet hatte, betrat er ihr Apartment. Mit neugierigem Blick schlenderte er darin herum, inspizierte die
Bücher auf dem Regal über dem Fernseher und sah sich auch die Familienfotos auf dem Sims über dem zugemauerten Kamin an.
Ruth beobachtete sein Tun von der Tür aus und ging dann ebenfalls hinein. „Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause”, forderte sie ihn sarkastisch auf.
„Sie haben es nicht schlecht hier”, sagte er, als hätte er fast damit gerechnet, dass sie in einer mit Ratten verseuchten Souterrainwohnung lebte, in der die Farbe von den Wänden blätterte und sich die schimmeligen Linoleumböden hoben.
„Was hatten Sie erwartet?” Sie schloss die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Zum einen kein so großes Apartment. Die Mieten in London sind nicht gerade niedrig. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich so eine Zweizimmerwohnung leisten könnten.” Er sah sich wie ein Makler um, der ein mögliches Objekt taxierte. „Sie hat eine recht große Küche und liegt in einer guten Gegend.”
„Offen gestanden, zahlen meine Eltern die Miete.”
„Ah.”
Ihre Blicke begegneten sich, und Ruth sah dann weg, verärgert über das, was er ihrer Ansicht nach dachte.
„Ich ziehe mich um”, informierte sie ihn und verschwand ins Schlafzimmer.
Sie würde ihm zeigen, dass sie nicht das unfähige, hilflose Kind war, für das er sie hielt. Finster sah sie zum Kleiderschrank. Er sollte es nicht wagen, sie jetzt im Stich zu lassen, da sie dringend etwas brauchte: ein Outfit, das Francos vorgefasste Meinung von ihr, dass sie völlig unbedarft sei, eine Partie Scrable genauso aufregend finde wie Sex und den Schritt in die große, weite Welt nicht ohne die Hilfe von Mum und Dad schaffe, wie eine riesige Seifenblase zerplatzen ließ.
Sie hatte die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern um deren Seelenfrieden willen akzeptiert und nicht, weil sie sich davor fürchtete, in einem weniger komfortablen Apartment zu wohnen. Aber es war zwecklos, es Franco zu erklären.
Stirnrunzelnd betrachtete sie den Inhalt ihres Kleiderschranks und musste sich leider eingestehen, dass die Sachen darin eher vernünftig und praktisch waren denn sexy. Schließlich zog sie Jeans an, verzichtete aber auf einen Gürtel, so dass diese locker auf den Hüften saßen und den Blick auf ihren Bauchnabel freigaben.
Dann schlüpfte sie in ein schwarzweißes Bustier und streifte sich eine cremefarbene Bluse aus indischer Baumwolle über. Zugeknöpft und zu einem ihrer Faltenröcke getragen, sah sie sehr sittsam aus, doch wenn sie wie jetzt offen blieb, wirkte sie fast schon verrucht.
Kritisch betrachtete sich Ruth schließlich im Spiegel und fühlte sich plötzlich richtig beschwingt. Nein, diese junge Frau mit Make-up und hautenger, freizügiger Kleidung war nicht Ruth Jacobs. Diese junge Frau sah sexy und ausgesprochen verwegen aus.
Ruth lächelte ihrem Spiegelbild zu und streckte ihm die Zunge heraus. Dann atmete sie tief ein und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
Franco stand am Fenster und beobachtete geistesabwesend das Geschehen auf der Straße. Als er hörte, wie die Schlafzimmertür aufging, drehte er sich um.
Er hatte darüber nachgedacht, wie Recht Ruth hatte. Es machte ihm Spaß, an dieser
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