Ein Abenteuer zuviel
versperrte dem Eindringling den Weg und erklärte ihm, er solle wieder gehen. Danach wandte sie sich erneut Ruth zu.
„Ist irgendetwas geschehen? Kommen Sie, setzen Sie sich erst einmal hin. Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment umkippen.” Fürsorglich führte Alison sie zu dem Stuhl, der in der Ecke stand. Dann ging sie
vor ihr in die Hocke und nahm ihre Hände. „Ist Ihren Eltern etwas passiert? Ist irgendjemand krank?”
Ruth hatte eine Idee und atmete tief ein. „Ja, meine Mum. Ihr geht es momentan nicht sonderlich gut.” Das war noch nicht einmal gelogen. Als sie vor zwei Tagen mit ihr telefoniert hatte, hatte ihre Mutter ihr erzählt, dass sie sich einen Grippevirus eingefangen hätte, der zur Zeit in der ganzen Gemeinde grassierte.
„O Ruth!”
Alison blickte sie so mitfühlend an, dass Ruth sofort leichte Schuldgefühle bekam. Aber was sollte sie tun?
Sie hatte doch keine Wahl!
Sobald sie über die Schwangerschaft Gewissheit erlangt hatte, waren ihr noch zwei andere Dinge klar geworden. Sie würde das Kind nicht abtreiben, sondern es behalten, und sie würde die Redaktion, London und Franco verlassen. Das Kind war ganz allein ihre Angelegenheit und niemandes sonst.
Und ihre Chefin hatte ihr gerade unwissentlich den Weg geebnet. Sie hatte ihr zumindest hinsichtlich ihres Jobs eine Möglichkeit eröffnet, wie sie sich aus der Affäre ziehen konnte. Ihr war zwar nicht wohl dabei, Alisons Gutmütigkeit auszunutzen, aber was blieb ihr anderes übrig?
„Sollen wir in mein Büro gehen und darüber reden?”
Alison ließ ihnen Kaffee bringen, bevor sie hinter verschlossener Tür miteinander sprachen. Verwundert und sichtlich neugierig registrierten die übrigen Redaktionsmitglieder den außergewöhnlichen Vorgang.
Mit leisen Gewissensbissen beobachtete Ruth ihren aus Not und Verzweiflung geborenen Plan. Sie bat um unbezahlten Urlaub und erklärte Alison, dass sie telefonisch Kontakt mit der Redaktion halten würde.
„Wir haben ja Ihre Adresse in den Unterlagen, so dass auch wir Sie erreichen können, falls es nötig sein sollte.”
In ihrer Akte war nur ihre Londoner Anschrift vermerkt, nicht jedoch die ihrer Eltern, das wusste Ruth genau, und sie beabsichtigte, bis zum Wochenende die Stadt zu verlassen. Kurz überlegte sie, ob sie Franco den Namen ihres Heimatorts genannt hatte, war sich dann allerdings sicher, dass sie es nicht gemacht hatte.
Sie hatte ihm nur erzählt, dass ihr Vater eine kleine Pfarrei habe, und es gab Millionen Dörfer im ganzen Land.
„Können wir sonst nichts für Sie tun? Ich bin sicher, dass Franco …”
„Nein! Bitte. Ehrlich, Alison, er hat mit der Beförderung und allem anderen schon genug für mich getan. Es ist nur schade, dass ich nichts mehr daraus machen kann.”
„Doch, das können Sie, wenn Sie wieder da sind.”
„Ja, das ist wahr.” Ruth betrachtete flüchtig ihren jetzt noch flachen Bauch. In einigen Monaten würde sie spüren, wie sich das Kind in ihr bewegte. Nein, der Job hier war vorbei, dank ihrer Dummheit während einer einzigen Nacht. „Es war schön, mit Ihnen zu arbeiten. Mit Ihnen allen.” Ihre Stimme bebte, und Alison sah sie sogleich wieder besorgt an.
„Warum reden Sie, als würden wir Sie für immer verlieren, Ruth?”
„Man kann nie wissen …”
„Seien Sie nicht so pessimistisch. Ihre Mutter wird sich wieder erholen. Meine Mum ist vor einem Jahr hingefallen und hat sich die Hüfte gebrochen. Wir alle haben geglaubt, dass sie für immer außer Gefecht gesetzt sein würde. Aber schon zwei Monate später hat sie wieder Golf gespielt und uns alle, wie gewohnt, über den Platz gescheucht.”
„Ja …” Wenn es doch nur so einfach wäre! Sie, Ruth, hatte bislang überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie ihre Eltern wohl auf die Neuigkeit reagieren würden. Eines wusste sie allerdings schon jetzt - sie würde ihnen das Herz brechen. Ruth spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Schnell blinzelte sie sie weg und versuchte, den bedrückenden Gedanken in den Hintergrund zu drängen.
Völlig erschöpft kehrte sie am Abend in ihre Wohnung zurück. Zum Glück würde sie Franco nicht mehr sehen müssen. Er war die ganze Woche geschäftlich im Ausland. Sicherlich würde er sie anrufen, aber mit der Situation, seine Stimme am Telefon zu hören, würde sie fertig werden. Und sollte sie doch damit überfordert sein, konnte sie immer noch den Anrufbeantworter einschalten, auch wenn es ausgesprochen feige war.
Es wurden
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