Ein Abenteuer zuviel
erzählte.
Natürlich war ihnen nicht verborgen geblieben, dass sie hier mit Sack und Pack eingetroffen war. Und Ruth wusste, dass ihre Eltern nun bestimmt vermuteten, sie hätte einen tollen neuen Job gefunden, der vielleicht auch noch ganz in ihrer Nähe war. Ihre Eltern hatten ihr zwar sehr bei der Entscheidung geholfen, nach London zu ziehen, aber sie würden überglücklich sein, wenn sie wieder nach Hause zurückkehrte.
„Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll”, sagte Ruth, als sie den gefürchteten Moment nicht länger hinauszögern konnte, und sah ihre Eltern an.
Sie waren äußerlich so verschieden voneinander, wie es zwei Menschen nur sein konnten. Ihre Mutter war schlank und feingliedrig, hatte kurzes blondes Haar und wirkte ähnlich knabenhaft wie sie. Ihr Vater war kräftig gebaut und ausgesprochen rundlich. Er hatte einen Bauch, der fast einem Wasserball glich, wie er selbst oft feststellte, und sein dunkles Haar lichtete sich schneller, als er wahrhaben wollte.
„Ich erzähle am besten alles in einem Rutsch, und ihr hört mir einfach zu.” Ruth atmete tief ein. „Vor einigen Wochen habe ich einen Mann kennen gelernt und mich in ihn verliebt”, erklärte sie und wagte es nicht, ihre Eltern beim Sprechen anzublicken. „Das Problem ist nur, dass er beruflich viel unterwegs ist. Er ist Reporter und häufig für lange Zeit im Ausland. Wir hatten eigentlich nicht vor, irgendetwas zu überstürzen, aber …” Hier wurde es noch schwieriger. „Aber ich war leider … etwas unvorsichtig …”
„Liebes, du bist doch nicht…”
„Deshalb haben wir … schnellstens geheiratet.” Ihre Stimme klang gezwungen fröhlich, was ihre Eltern glücklicherweise nicht bemerkten.
„Du bist verheiratet!” riefen sie bestürzt und wie aus einem Mund.
Ruth sah sie zerknirscht an. „Ich weiß, es ist ein entsetzlicher Schock.” Sie rang die Hände. „Ich wollte
euch etwas sagen, aber…”
„Aber Liebes, wo ist er?” Ihre Mutter umfasste ihre Hände und tätschelte sie begütigend.
„Das ist es ja.” Ruth atmete erneut tief ein. „Er wurde in einer dringenden Sache abgerufen und kann Wochen, Monate, sogar … Deshalb musste alles auch so schnell gehen …”
„O Liebes, wohin hat man ihn geschickt? An irgendeinen gefährlichen Kriegsschauplatz?”
Ruth wollte sich nicht zu sehr in Einzelheiten ergehen. Bekümmert blickte sie ihre Eltern an und erklärte ihnen mit bewegter Stimme, dass sie darüber nicht sprechen wolle.
Und diese Erklärung wiederholte sie, während aus Tagen eine Woche und dann zwei wurden. Zwei Mal rief sie in der Redaktion an, das zweite Mal nach Büroschluss. Sie hinterließ eine kurze Nachricht auf dem Anrufbeantworter und deutete an, dass man sich vielleicht überlegen solle, eine Nachfolgerin für sie zu suchen. Ihr schlechtes Gewissen plagte sie, doch sie hatte das Gefühl, dass es nicht ganz so unverzeihlich wäre, wenn sie Alison nicht unmittelbar anlog.
Ihre Eltern hatten inzwischen den Schock überwunden, dass ihre Tochter schwanger war. Sie erzählten es stolz überall in der Gemeinde und sagten bedrückt, dass der Vater des Kindes im Ausland sei und Leib und Leben für die Freiheit anderer riskiere.
Ruth konnte sich vor Glückwünschen nicht retten. Und wo immer sie sich befand, erkundigten sich die Leute nach dem Wohlbefinden ihres Ehemanns. Nach anderthalb Wochen konnte sie sich nicht mehr anders helfen, als ihnen bekümmert zu gestehen, dass er auf Grund der gefährlichen Lage, in der er sich befand, telefonisch nicht erreichbar sei.
Sie wusste, dass sich die ganze Aufregung um ihre Person irgendwann legen würde, aber ihr konnte es nicht schnell genug gehen. Lügen zu verbreiten war schon schlimm genug. Diese aufrechtzuerhalten überstieg allerdings allmählich ihre Kräfte und drohte sie verfrüht ins Grab zu bringen.
Wie in früheren Tagen half sie zu Hause mit, wo sie konnte. Als sie eines späten Nachmittags gerade die Lammkeule fürs Abendessen zurück in den Backofen schob, hörte sie, wie draußen ein Wagen vorfuhr.
Sie war es von klein auf gewohnt, dass Gemeindemitglieder zu jeder passenden und unpassenden Zeit im Pfarrhaus vorbeischauten. Es war schon oft vorgekommen, dass sie das Tischgebet bereits gesprochen hatten und gerade zu Messer und Gabel greifen wollten und es dann an der Haustür geklingelt hatte.
Seufzend wusch sich Ruth die Hände. Ihre Eltern waren auf einem Rundgang durch die Gemeinde und würden erst in etwa einer halben
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