Ein Abenteuer zuviel
„… und ihr in der Küche nach der Lammkeule seht. Sie ist wahrscheinlich schon angebrannt.”
Schnell legte sie die Arme um ihre Eltern, um diese in die richtige Richtung zu schieben.
„Ruth”, flüsterte Ciaire, „es freut mich ja so für dich …”
„Ich bin sofort zurück!” rief Ruth über die Schulter hinweg Franco zu. „Geh inzwischen ins Wohnzimmer.
Es liegt gleich rechter Hand von dir.”
„Ist er der, für den ich ihn halte, Liebes?” erkundigte sich ihre Mutter in der Küche.
Ruth lehnte sich gegen die Tür und atmete tief ein. Bestimmt war das nur ein Albtraum. Wenn sie gleich die Augen wieder aufmachte, würde sie feststellen, dass es acht Uhr morgens und alles so war, wie es sein sollte. Doch das war es nicht. Seufzend sah sie ihre Eltern an.
„Ja, aber er wird nicht bleiben. Er … er ist mit einer schrecklich gefährlichen Spionagesache betraut und musste sich im Schutz der Dunkelheit davonschleichen, um hierher zu kommen. Eigentlich wollte er gerade wieder aufbrechen, als ihr zurückgekehrt seid.” Ihre Hände waren so feucht geworden, dass sie sie verstohlen an den Jeans abwischte.
„O nein!” stieß Ciaire entsetzt hervor und ging auf die Tür zu. Ruth rührte sich nicht von der Stelle.
„Liebes, deine Mutter und ich würden deinen Mann wirklich gern kennen lernen, und bestimmt ist er zum Teil auch deshalb hierher gekommen.”
„Ich lasse ihn nicht fort, bevor wir kurz miteinander geredet haben”, erklärte Ciaire bestimmt. „Warum bist du so seltsam und rot wie eine Tomate, Ruthie?”
„Es … es ist ziemlich warm in der Küche, Mum”, antwortete Ruth und wich keinen Zentimeter von der Tür weg.
„Nun mach mal Platz”, forderte ihr Vater sie sanft auf. Er verscheuchte sie von der Tür, öffnete diese und ließ ihnen beiden dann den Vortritt.
Ruth fühlte sich entsetzlich und dachte zum ersten Mal in ihrem Leben daran, von zu Hause fortzulaufen.
Mit zweiundzwanzig bin ich zwar eigentlich schon ein wenig zu alt dafür, überlegte sie, aber wie viele Zweiundzwanzigjährige müssen eine so schreckliche Situation meistern, wie sie mich jetzt erwartet?
In wenigen Minuten würde sie als Lügnerin vor ihren Eltern dastehen und ihre Herzen gleich doppelt brechen. Sie würde ihnen niemals erklären können, warum sie sie angelogen hatte. Und auch ihr sehnlichster Wunsch, die Schwangerschaft vor Franco geheim zu halten, würde sich nicht mehr erfüllen. Es sei denn, sie schaffte es irgendwie, ihn loszuwerden, bevor ihre Eltern das Thema ansprachen.
Franco blickte zum Erkerfenster hinaus, wandte sich allerdings sofort um, als er sie ins Zimmer kommen hörte.
„Na, alter Junge”, sagte ihr Vater lächelnd, während er auf ihn zuging, „wir dachten schon, wir würden dich nie kennen lernen.” Herzlich schüttelte er ihm die Hand. „Es war wohl ein ziemliches Unterfangen, hierher zu gelangen. Aber als Vater der hübschesten Tochter der Welt kann ich gut nachvollziehen, warum du es versucht hast. Wir wissen, dass du nicht lange bleiben kannst. Doch einen Drink können wir bestimmt miteinander nehmen. Wein? Sherry? Oder vielleicht ein Bier?”
„Er trinkt ein Glas Wein.” Schnell stellte sich Ruth neben Franco und legte ihm warnend die Hand auf den Arm. „Aber danach muss er wirklich aufbrechen. Stimmt’s, Schatz?” Sie lächelte ihn an, als er sie kritisch anblickte.
„Ein Glas Wein wäre prima.”
„Oh, wir haben uns ja noch nicht miteinander bekannt gemacht”, erklärte ihre Mutter und ging lächelnd auf ihn zu. „Ich bin Ciaire, und der korpulente Herr dort drüben, der sich kategorisch weigert abzunehmen, ist mein lieber Mann Michael.”
„Aber Schatz, wenn ich eine Diät machen würde, würde ich dich verletzen.” Ihr Vater zwinkerte Franco zu.
„Sie kocht für ihr Leben gern.”
„In dem Punkt schlägt Ruth also ganz nach ihrer Mutter”, erwiderte Franco galant. Er tätschelte Ruth die Hand, die noch immer auf seinem Arm lag, und drückte sie unnötig fest. „Stimmt’s?”
„Liebe geht durch den Magen”, stellte Ciaire lachend fest. „Und jetzt lasst uns auf euer Wohl anstoßen.”
Ruth trank ihr Glas mit Orangensaft im Nu aus und lächelte anschließend, ohne jemanden direkt anzusehen.
„Und nun wollt ihr beide die letzten Minuten bestimmt unter euch sein, deshalb lassen Dad und ich euch jetzt auch allein. Ich weiß, dass wir eigentlich nur Höflichkeiten ausgetauscht haben.” Ciaire hielt Franco die Wange zum Abschiedskuss hin.
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