Ein abenteuerliches Herz
im Rahmen der Hygiene, sondern der Lebensführung überhaupt. Andererseits gilt das Sprichwort: »Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.«
Die Dosis kann also minimal werden. Auch können unter Umständen Stoffe berauschen, die als neutral gelten, wie die Atemluft. Darauf beruht die »Idee des Doktor Ox« von Jules Verne. Unter der Vorspiegelung, eine Gasanstalt bauen zu wollen, verändert der Doktor Ox in einer Kleinstadt durch Zufuhr von reinem Sauerstoff auf rauschhafte Weise die Mentalität der Einwohner. Durch Konzentration wird also ein Stoff »giftig«, den wir mit jedem Atemzug einholen. Paracelsus: »Sola dosis facit venenum.«
Der Doktor Ox hat die Luft destilliert. Das läßt vermuten, daß sie für sensible Naturen an sich berauschend werden kann. So ist es in der Tat. Es wird wohl wenig Menschen geben, denen sich nicht, wenigstens für Augenblicke, das Goethesche »Jugend ist Trunkenheit ohne Wein« verwirklichte. Gewiß ist dazu die unberührte Bereitschaft nötig, die zu den Kennzeichen der Jugend gehört. Immer aber werden auch äußere Faktoren mitwirken, seien es »höhere Potenzen« bekannter oder unbekannter Stoffe, seien es atmosphärische Einflüsse. In den Romanen finden sich Floskeln wie: »Die Luft war wie Wein«. Die »unerklärliche Heiterkeit« steigt aus fast immateriellen Quellen auf.
Doch kann die »gute Stunde« auch Melancholie bringen. Sie hat oft mahnende, warnende Kraft und ist in dieser Eigenschaft nicht minder günstig, denn oft künden sich drohende Gefahren auf solche Weise an. Neben Wahrnehmungen, die ebenso schwer zu erklären wie zu bestreiten sind, gibt es viele, zu deren Begründung die verfeinerte Empfindsamkeit genügt. Alexander von Humboldt beschäftigt sich in seiner »Reise in die Äquinoktialgegenden« ausführlich mit den Erscheinungen, die den Vulkanausbrüchen und Erdbeben vorausgehen, und in diesem Zusammenhang mit der Beunruhigung von Menschen und Tieren, die man ebenso gut als Ahnung wie als Wahrnehmung bezeichnen kann.
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Immer wieder bis auf den heutigen Tag hat man Stoffe oder psychogene Kräfte gewissermaßen aus der Atmosphäre zu extrahieren versucht. So Mesmer, der, vom Magnetismus ausgehend, ein »Fluidum« zu erkennen glaubte, das dem menschlichen Körper entströme und in bestimmten Gegenständen wie in Akkumulatoren zu speichern sei. Der Mesmerismus hat in der Heilkunst kaum mehr als eine Mode gemacht, wohl aber leben Einflüsse in der Dichtung nach. Er hat vor allem E. Th. A. Hoffmann fasziniert. Schon Mesmers Dissertation hatte Aufsehen erregt. »De planetarum influxu« könnte als Titel auch über einer Betrachtung von Novalis oder einem Beitrag im »Athenäum« stehen.
Weniger bekannt geworden und doch bedeutender als Mesmer ist Carl-Ludwig von Reichenbach, der sich nicht nur als Naturphilosoph, sondern auch als Geologe, Chemiker und Industrieller auszeichnete. Reichenbach wollte im »Od« einen Stoff erkannt haben, dessen Kraft oder Ausstrahlung sich dem Mesmerschen Fluidum vergleichen läßt. Dieses Od, obwohl überall in der Natur vorhanden, wird nur von zart organisierten Wesen wahrgenommen, die Reichenbach die Sensitiven oder bei besonderer Feinfühligkeit die Hochsensitiven nennt.
Reichenbach, in dem sich die naturphilosophische Begabung mit naturwissenschaftlicher Exaktheit vereinigt, bemühte sich, das Od experimentell nachzuweisen, und bediente sich dazu der Sensitiven, etwa derart, wie ein Kurzsichtiger seine Brille benutzt. Er entwickelte dazu Verfahren, die wir heute als Tests bezeichnen würden, zwar ohne Anwendung von Apparaten, doch mit sehr feinen Differenzierungen. So schied etwa als Sensitiver aus, wer zwischen der spitzen und der stumpfen Seite eines Hühnereies, das er zwischen zwei Fingern halten mußte, keinen Temperaturunterschied fand. Reichenbach unternahm das Wagnis, in Regionen einzudringen, die, obwohl weder fern noch verschlossen, den groben Sinnen unzugänglich sind.
Die Physiker wollten jedoch vom Od ebensowenig wie die Psychiater und Neurologen von den Sensitiven Notiz nehmen. Das bekümmerte Reichenbach als Naturwissenschaftler, als Philosoph konnte er sich darüber hinwegsetzen. Er kam mit seinen Ideen in eine denkbar ungünstige Zeit. Noch stärker gilt das für Fechner, der das mathematisch-physikalische Weltbild als die »Nachtseite« des Universums ansah und für seine »Psychophysik« aus Reichenbachs Schriften den größten Nutzen zog.
Fechners Gedanken über die Beseelung der
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