Ein abenteuerliches Herz
Schweigen währte eine lange Zeit, dann faßte Bruder Otho noch einmal nach des Fürsten Hand und beugte sich tief auf sie hinab.
Nachdem die beiden am Zinnenrande der Marmorklippen dem Blick entschwunden waren, suchte ich noch, bevor ich mich zur Ruhe legte, die Goldbandlilie auf. Die feinen Staubgefäße waren schon beflogen, und die grüngoldene Tiefe des Kelches war mit Purpurstaub befleckt. Ihn hatten wohl die großen Nachtpapillonen beim Hochzeitsschmaus verstreut.
So fließen aus jeder Stunde Süße und Bitterkeit. Und während ich mich über die betauten Blütenkelche beugte, ertönte aus fernen Vorgehölzen der erste Kuckucksruf.
HELIOPOLIS, 1949
Ortners Erzählung
Es war in anderen Zeiten, und ich verschweige den Namen, den ich trug. Er ist nicht wert, daß er sich in der Überlieferung erhält.
Ich war unglücklich, zugrunde gerichtet an Leib und Seele durch eigene Schuld. Die Eltern hatten an meiner Erziehung nicht gespart. Ich hatte hohe Schulen absolviert, auch hatte es an Mitteln für meine Reisen und Studien nicht gefehlt. Doch war ich gescheitert, heruntergekommen durch Verschwendung, Laster und Hang zum Müßiggang. Seit langem war ich ohne Geld, selbst ohne Wohnung, und meine Bekannten, nachdem sie müde geworden, mir zu helfen, mieden mich. Mir wars nicht unlieb; auch ich ging ihnen aus dem Wege, denn ein Gefühl des Hasses gegen die Menschen und die Gesellschaft zerfraß mich ganz und gar. Ich fühlte mich nur an den Zufluchtsorten der Ausgestoßenen und der Verworfenen wohl.
Der Mittel beraubt, den teuren und auserwählten Lastern noch zu frönen, mußte ich mich mit Ausschweifungen begnügen, die billig und häßlich sind – dem rohen Trunke, der Gesellschaft von Dirnen, wie sie in den Elendsvierteln hausen, und vor allem dem Glücksspiel in den Spelunken der großen Stadt. Auf diese Weise lebte ich in einem trüben und schreckensvollen Traum. Mein Schicksal nahm mehr und mehr die Form der schmutzigen, von Schweiß und Fusel feuchten und von Fälschern gezinkten Blätter an: der Asse, der Könige, der Buben, der schwarzen und roten Damen und ihrer Konstellationen, an denen ich mich im halben Rausch mit Leidenschaft beteiligte. Niedrige und gierige Gesichter umringten mich am runden Tisch, und Hände, die ängstlich ihr Spiel umklammerten. Der Morgen brachte den Verlust und wilden Streit.
So schleppte ich meine Tage, und ihre Last vermehrte sich durch die Erinnerung an reiche Inseln, Luxus und Überfluß. Das alles hatte ich gekannt, genossen, und mich verzehrte der Wunsch, an diese Tafeln zurückzukehren, an denen man das Geld nicht zählt. Mir stellten das Glück und die Zufriedenheit sich einzig unter der Form des Geldes, der großen Summe, dar. Kein anderer Weg zum Glück schien mir gegeben als jener der Kombinationen, die denen des Spielers gleichen und auf Gewinn gerichtet sind.
Man müßte, so dachte ich häufig, sich zu der Welt und ihren Schätzen in ein Verhältnis bringen, das der Spieler »die gute Strähne« nennt. Ich hatte zuweilen im Laufe der Partien die Ahnung einer Kraft erfahren, die wie ein feiner Magnetismus Einsicht in Fortunas Reich eröffnet und uns die gute Hand verleiht. Doch kam ich über das Gesetz der Serie nie hinaus – der Strom riß plötzlich ab, und doppelte Verluste folgten ihm. Dennoch war ich, wie jeder Spieler, überzeugt, daß man zu einer Art von Leichtigkeit gelangen könne, die der Macht des Zufalls nicht unterliegt. Ich glaubte, daß das Glück zu zwingen sei und daß es eine Macht in unserem Innern gebe, die darüber entscheidet, wie die Kugel fällt, die Karte sticht. Und während langer Nächte dachte ich über diese Möglichkeiten nach.
Wie alle diese Träumer näherte ich mich dabei den magischen Bereichen, ja Schlimmerem. Die Existenz des Spielers drängt mächtig auf den Aberglauben und dann auf Übeltaten zu, die schwerer sind, als daß sie menschliches Urteil, menschliches Gericht erfaßten – ja deren Namen selbst nicht in den Büchern stehen, in denen die Gesetze aufgezeichnet sind. Wir treten, wenn wir uns dem Spiel verschreiben, bald in die Welt der Talismane, der mantischen Orte und Stunden, der kabbalistischen Systeme ein. Wenn wir uns in diese Labyrinthe wagen, an deren Wänden Ziffern und Zeichen leuchten, nähern wir uns mit jeder Windung, mit jedem Irrgang stärkeren Trägern magischer Macht. Sie bleiben unsichtbar, doch wirken sie auf unser Denken, auf unsere Tat. Wenn das Verderben weit genug gediehen ist, dann treten
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