Ein abenteuerliches Herz
sie zu allen Zeiten auch sichtbar auf und wiederholen das ewige Versprechen, daß wir die Welt gewinnen sollen auf Kosten unseres Heils.
Merkwürdig bleibt, daß gerade der Unglaube diese Mächte besonders stark, besonders wirksam macht. Seit meiner frühen Jugend hatte ich verachtet, was man die Sünde und das Jenseits nennt. Nun hatte ich mich jenen Sphären so entfremdet, daß ich nicht einmal ihrer spottete. Ich sah die Welt als einen großen Automaten; das Glück hing von dem Umfang ab, in dem man seine Konstruktion erriet. Der Teufel des Mittelalters war ein dummer Wicht, ein Alfanz, den kindliche Furcht, kindlicher Wahn ersann. Er bot den Menschen Schätze an für einen Wechsel auf absurde Reiche, für eine wertlose Unterschrift. Es war kein übler Wunschtraum, daß es einen Burschen gäbe, der so glänzende Geschäfte vermittelte.
»Wenn ich der Teufel wäre, ich würde all diesen faulen Kunden nicht einen Pfennig geben für ihre Unterschrift. Und wenn er mir erschiene, ich ließe ihm die meine für einen Pfifferling. Er brauchte mir nicht Fortunats Säckel, nicht Dschudars Ring zu bieten, nicht einmal zwanzig Pfund. Mir sollte es genügen, daß er dies Gläschen wieder füllt.«
So brummte ich vor mich hin, indes ich in trunkenen Träumereien mit dem Kopf auf einem groben Holztisch lag. Es war in einem Wartesaal kurz vor dem Morgengrauen. Mir war beklommen und schwindelig zumute wie bei hohem Seegang auf einem Schiff. Ich hörte laute Stimmen und das Klirren von Gläsern um mich her. Betrunkene stritten sich mit den Kellnern, mit ihren Mädchen, mit Polizisten, die hier auf Fang ausgingen. Das schwoll und ebbte in einer Drehung, die Übelkeit bereitete. Nachtschwärmer pflegten hier noch einzufallen, wenn die Schenken geschlossen hatten, und Freudenmädchen spähten nach letzten Freiern aus. Auch wer, wie ich, kein Obdach hatte, erwartete in diesem trüben Saal den neuen Tag.
Ich konnte mich jetzt nur noch an Orten zeigen, an denen Zwielicht herrscht, denn auch die Lumpen fielen schon von mir ab. Ich bot ein Schreckensbild und kannte schon das Dickicht, in dem mein Leichnam die Kinder scheuchen würde, die spielend eindrangen. Ich fühlte, daß ich ganz und gar zu Unrat geworden war, durch eine Fäulnis, die von innen nach außen zehrend das Hemd, die Schuhe, die Kleider ergriffen hatte und auflöste. Es war notwendig, unvermeidlich geworden, daß ich mich abräumte. Doch immer noch verfolgte mich der vage Traum des Glückes wie eine Melodie auf einem Schiff, das schnell versinkt.
Mein Kopf schien ganz mit Quecksilber gefüllt. Mit Mühe, schwankend, richtete ich mich auf. Und mit Erstaunen sah ich mein Glas geschänkt. Ich rieb mir die Augen, doch es blieb kein Zweifel: ein rotes Elixier erfüllte es bis zum Rand.
»Blackberry-Brandy; Sie müssen sich stärken, guter Freund!«
So hörte ich eine sanfte, doch nachdrucksvolle Stimme neben mir. Ich blickte mich um und sah, daß dort ein Unbekannter saß, der mich aufmerksam betrachtete. Es war ein Mann in grauem Straßenanzug, der unauffällig, doch von bester Hand geschnitten war. Auch das Gesicht des Unbekannten war unauffällig, von einem Typus, wie man ihn in unserer Welt alltäglich trifft. Die scharfen, aufmerksamen Züge deuteten auf die Gewohnheit eigener und führender Entschlüsse, die blasse Haut auf Nachtarbeit. Man stößt auf solche Köpfe in den Ministerien, den Banken, der Industrie. Doch findet man sie dort nicht an den ersten Stellen, sie wirken eher von versteckten Zimmern aus. Wir irren lange in diesen Labyrinthen, wenn wir in Geschäften kommen, uns immer tiefer ins Gewirr verstrickend, bis endlich ein Diener uns in die Zelle solcher Eminenzen führt. Hier fällt dann Licht auf unsere Dinge; mit zwei, drei Sätzen wird das Entscheidende geklärt, zur Unterschrift gebracht. Zuweilen trifft man sie natürlich auch in den Nachtlokalen und in den Bars, als Gäste von Distinktion.
Zu anderen Zeiten würde man solche Geister als bösartig, ja fürchterlich begriffen haben, indessen in einer Welt, in der das Böse zum Allgemeinen wurde, wirken sie autoritär. Man wittert sogleich, daß sie das herrschende Prinzip verkörpern, daß sie die Führer sind. Doch legen sie auf Ehren keinen Wert und finden in der Arbeit ihren Lohn. Sie konstruieren in ihren Zellen Gedanken, die schärfer sind als alle Schwerter, erfinden ein Pülverchen, durch das man Völker entnerven kann. Im Auftreten sind sie bescheiden, doch sicher, und kennen ihren Rang.
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