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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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denen sich seit der Völkerwanderung immer wieder bewaffnete Reiter bewegt hatten. Bald sollten wir erfahren, daß es nicht mehr möglich war. Wir hatten noch die schöne, bunte Montur getragen, auf die wir stolz waren und die weithin leuchtete. Doch sahen wir keinen Gegner mehr. Wir wurden von unsichtbaren Schützen aus großer Entfernung aufs Korn genommen und aus dem Sattel geholt. Wenn wir sie erreichten, fanden wir sie in Drähte eingesponnen, die den Pferden die Fesseln zerschnitten und über die kein Sprung hinwegführte. Das war das Ende der Reiterei. Wir mußten absitzen.
    In den Panzern war es eng, heiß und lärmend, als ob man in einem Kessel säße, an dem die Schmiede hämmerten. Es roch nach Öl, Treibstoff, Gummi, verschmortem Isolierband und Asbest und, wenn man in Schußweite kam, auch nach Pulver, das aus den Kartuschen abqualmte. Man spürte Erschütterungen im weichen Grunde, dann schärfere und nähere Schläge, auch Treffer bald. Das war keiner der großen Reitertage, von denen Monteron uns erzählt hatte. Es war heiße Maschinenarbeit, unsichtbar, ruhmlos und immer von der Aussicht auf den Feuertod begleitet, die sich nicht abweisen ließ. Ich empfand es als widrig, daß der Geist sich so der Macht der Flamme beugen sollte, aber es muß tief in der Natur liegen.
    Außerdem nahm das Metier einen anrüchigen Charakter an. Ich machte bald die Erfahrung, daß auch Soldaten nicht mehr Soldaten sind. Das Mißtrauen war gegenseitig und wirkte auch auf den Dienst. Früher hatte der Fahneneid genügt. Nun mußte man zahllose Polizisten anwerben. Das war eine bestürzende Veränderung. Über Nacht war Irrtum, ja war Verbrechen geworden, was früher Pflicht gewesen war. Wir merkten es, als wir nach dem verlorenen Krieg in die Heimat zurückkehrten. Die Worte hatten ihren Sinn verloren – war nun auch das Vaterland nicht Vaterland mehr? Wofür waren sie dann alle dahingegangen, Monteron und die Seinigen?
    Ich denke ungern an jene Jahre zurück, in denen sich alles verändert hatte, und möchte sie aus dem Gedächtnis tilgen wie einen bösen Traum. Wir wurden nicht fertig mit den Tatsachen. Jeder sah in dem anderen den Schuldigen. Wo Haß an der Saat mitwirkt, kann nur Unkraut die Ernte sein.
    Ein furchtbares Erlebnis verleidete mir diese Umtriebe. Es muß in die Zeit gefallen sein, in der wir das Denkmal umgeworfen hatten; es war einem der neuen Tribunen gesetzt, der bereits wieder unpopulär geworden war. Das ist auch eines der Worte, die davon leben, daß es einmal ein römisches Imperium gegeben hat. Wir hatten getrunken; es war nach Mitternacht, und das Monument lag im grellen Licht einer Baustelle. Die Arbeiter liehen uns ihre Vorschlaghämmer, und wir machten so gründliche Arbeit, daß nur noch zwei ungeheure Betonstiefel vom Postament in die Luft ragten. Ich entsinne mich kaum noch des Ortes und der Namen, die mit diesem obskuren Hermenfrevel zusammenhängen; wer daran Interesse hat, wie Zapparoni, mag es in meinen Papieren nachlesen.
    Wir pflegten uns bei einem Kameraden zu treffen, der ein Zimmer im obersten Stockwerk eines Mietshauses bewohnte, wie sie damals ebenso schnell wie unsolide gebaut wurden. Das Zimmer hatte ein breites Fenster, aus dem man durch einen tiefen Schacht auf den Hof blickte, der aus der Höhe kaum größer als ein Kartenblatt erschien. Der Kamerad hieß Lorenz; er war ein schlanker, etwas nervöser Junge und hatte auch bei den Leichten Reitern gedient. Wir hatten ihn alle gern; es war etwas von alter Freiheit, von alter Leichtigkeit in ihm. Fast jeder hatte damals eine Idee; das war eine besondere Eigentümlichkeit der Jahre, die jenem Krieg folgten. Die seine bestand darin, daß die Maschine die Quelle allen Übels sei. Er wollte daher die Fabriken in die Luft sprengen, das Land neu verteilen und in ein Bauernreich umwandeln. Da würden alle friedlich, gesund und glücklich sein. Um diese Meinung zu belegen, hatte er eine kleine Bibliothek erworben – zwei, drei Reihen zerlesener Bücher, vor allem von Tolstoi, der sein Heiliger war, auch frühe Anarchisten wie Saint-Simon.
    Der arme Junge wußte nicht, daß es heute nur eine Bodenreform gibt: die Expropriation. Dabei war er selbst der Sohn eines enteigneten Landwirts, der seinen Verlust nicht überlebt hatte. Besonders merkwürdig erschien der Umstand, daß er diese Ideen unterm Dache eines Mietshauses verfocht und inmitten eines Kreises, dem es zwar an verworrenen Plänen nicht mangelte, der aber in technischer

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