Ein abenteuerliches Herz
ihn jetzt schrecken, das Abbild seines Innern sind. Die Feuerwelt, die ausgebrannten Häuser und Ruinenstädte, die Spuren der Zerstörung gleichen dem Aussatz, dessen Keime lange im Innern sich vermehrten, ehe er an die Oberfläche schlug. So hat es seit langem in den Köpfen und in den Herzen ausgesehen. Es ist der rote Stoff des Menschen, der sich im Weltbild widerspiegelt, so wie die innere Ordnung im äußeren Frieden sichtbar wird. Daher muß Heilung zunächst im Geist erfolgen, und nur der Friede kann Segen bringen, dem die Bezähmung der Leidenschaften vorausgegangen ist.
Das ist besonders zu bedenken, wo von Bestrafung der Schuldigen die Rede ist. Es werden gerade jene sich zum Amt des Richters drängen, die stark im Willen, doch schwach im Urteil sind. Daher ist es vor allem wichtig, daß hier Vernunft und Kenntnis des Ganzen regieren, nicht aber blinde Rachsucht der Parteien, die neues Unrecht zu altem fügt.
Auch muß man wissen, daß in solchen Konflikten viel Schicksalhaftes spielt – sie reißen gleich Strudeln die Geister an sich und führen sie dem Verhängnis zu. Dennoch ist immer vom Menschen zu verlangen, daß er Tat und Untat unterscheidet und daß er, auch unter eigener Gefährdung, dem Frevel widersteht. Das Böse kann weder dadurch entschuldigt werden, daß es erzwungen wurde, noch dadurch, daß die Zeit es forderte. Für diese Fälle gilt das Wort Matthäi: »Ärgernis muß ja kommen, aber weh dem, der Ärgernis gibt.«
Doch darf auf keinen Fall die Rache hier führend sein. Viel weniger darauf, daß die Opfer Rache finden, kommt es an, als auf die Wiederherstellung des Rechts und insbesondere des Rechtsgefühles, das in weiten Räumen betäubt, geknebelt worden ist. Der Wille, Recht zu schaffen, muß auf Ordnung, muß auf Gesundung gerichtet sein. Es darf auf der Erde keine Länder mehr geben, wo Furcht regiert und Menschen wohnen, die ohne Recht und Urteil dem Zugriff auf Leib und Leben, auf Gut und Freiheit ausgeliefert sind. In diesem Sinn gleicht das Recht dem Lichte, das weithin die Finsternis durchdringt.
Aus diesem Grunde freilich ist es wichtig, daß es zum Urteil kommt. In keinem Volke stirbt ja der Rechtssinn gänzlich, und mächtig wird er belebt, wenn sich bewährt, daß Unrecht nicht dauern kann und daß die Untat Sühne findet, in welcher Übermacht sie auch begangen sei. Damit dies recht zutage trete, dürfen weder Parteien noch Nationen über ihre Gegner zu Gericht sitzen. Der Kläger kann nicht zugleich der Richter sein.
Es ist vorauszusehen, daß sich die fürchterlichen Klüfte, die die Gewalt geöffnet hat, nicht schließen werden, ohne daß es zu Rachestürmen der Unterdrückten kommt. Doch wird sich auf diesem Wege Recht nicht bilden; die Übeltaten können ihre Sühne nur vor Gerichten finden, in denen nicht Haß das Urteil lenkt. Nur dort kann unterschieden werden, wer als Soldat und wer als Henker, als Kämpfer oder Mörder betrachtet werden muß und wer als Gegner im Völkerstreit der Achtung oder als Vergießer schuldlosen Blutes des Galgens würdig ist. Maßen sich aber Parteien die Unterscheidung an, so wandeln sie Verbrecher zu Märtyrern und Nationalheroen um.
Das soll nicht heißen, daß nicht gründlich Justiz geschaffen werden muß. Es gibt zuviel an stumpfer, sinnloser Tyrannei und Unterdrückung von Wehrlosen, zu viel Henker und Henkersknechte, zu viele große und kleine Schinder, als daß der Abgrund sich schließen könnte, ehe das volle Maß der Strafe gefunden ist.
Doch kommt es darauf an, daß die Verbrechen für alle Zeiten auch sichtbar werden, und das wird nur durch Recht, niemals durch Rache möglich sein. Das Recht hat Lichtnatur, die auch die Schatten deutlicher macht. Je weniger sich in seiner Quelle die Leidenschaften spiegeln, desto klarer tritt das Verbrechen in seiner Häßlichkeit hervor.
10
Die Sühne gehört zu den Voraussetzungen des neuen Bundes; der Einigung geht Reinigung voraus.
Der Friede selbst indessen muß ganz und gar der Zukunft gewidmet sein. Es sind in ihm die Ziele zu erfassen, die im Kriege als Ganzes eingeschlossen sind. Die Erde drängt in ihm zu neuen Formen, an denen alle Mächte Mitarbeiter sind. Aus diesem Grunde lebt auch in jeder der Parteien, und sei es unter den Schlacken der Gewalt verborgen, ein guter Rechtsanspruch. Ihn gilt es herauszuheben und in höherem Sinne zu verwirklichen.
Wenn wir nun ohne Leidenschaft die Ziele betrachten, um die gefochten wird, so werden wir finden, daß fast alle
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