Ein abenteuerliches Herz
wie sie hier notwendig waren, genügte keine Reformierung – sie forderten die Revolution. Sie preßten die Parteien auf letzte Auseinandersetzungen und auf die Klärung durch Flammen zu. Wie immer in solchen Fällen entschieden hier die dunklen, drängenden Kräfte, und nicht die Stimmen der Vernunft.
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Als dann die Waffen zu sprechen begannen, war noch im Jahre 1940 zur Abwendung des Äußersten Gelegenheit. Noch waren große Teile der Erde in Ruhe, zum andern waren die Fesseln des Versailler Vertrages gelöst und damit die Bahn für neue Entwicklungen frei. Dazu kam, daß, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich die Grenzen in einem großen Teil Europas gefallen waren und daß die Völker nach Sicherheit dürsteten. Es konnte nun die gerechte Lösung gefunden werden, um die scheinbare Einheit, die die Gewalt geschaffen hatte, abzulösen durch die aus freiem Willen begründete.
Um eine solche Verfassung zu schaffen, durfte es freilich weder Sieger noch Besiegte geben, denn dieser Krieg war seiner Gestalt nach kein Eroberungs-, sondern ein Einigungskrieg. Alle Eroberungen trugen demgegenüber zufälligen Charakter, und es war das Unglück des Siegers, daß er dies nicht sah.
So wiederholte Deutschland die Fehler von Versailles. Wie damals vom Völkerbund, so sprach man jetzt vom Neuen Europa, das doch im Grunde nur die imperiale Verkleidung eines kämpfenden Nationalstaates war, nicht aber ein auf gleichen Rechten und Pflichten begründeter Bund. So mußte Deutschland auch die wesentliche Last des Kampfes allein bewältigen und jeden Beitrag mit Zwang eintreiben, den die Propaganda zwar immer rühriger, doch immer dürftiger bemäntelte.
Besonders betrüblich war es, daß das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich sich verschlechterte. Es gab hier gleich nach dem Waffenstillstand eine Spanne, in der man erkannte und anerkannte, in welchem Maße die beiden Länder einander zu ergänzen geschaffen sind, und von Herzen zum Eintritt in eine neue Ordnung gesonnen war.
Das spärliche Maß an Widerstand, das dort die Heere geleistet hatten, verglichen etwa mit den Taten der Kämpfer vom Douaumont, bezeugte, daß man den Konflikt nicht mehr als einen solchen begriff, in dem es sich bis zum Letzten zu schlagen gilt. In seiner Eigenschaft als Nationalstaat hatte sich Frankreich schon in den ungeheuren Opfern des Ersten Weltkriegs erschöpft, und andererseits floß seinem Denken und Handeln, im Gegensatz etwa zu England, aus imperialen Räumen kein Kraftstrom zu.
In Deutschland dagegen war der nationale Stoff noch nicht verzehrt. Und darin liegt der Grund verborgen, aus dem das Ringen sich erneute und nun in seine eigentliche Fragestellung einzumünden schien. Er liegt darin, daß Deutschland den Eroberungskrieg, den es in seiner Eigenschaft als Nationalstaat führte, verlieren mußte – und entsprechend sah man die Widerstände wachsen im Maß, in dem es seine Anstrengung entfaltete. Es kommt nun darauf an, daß es zusammen mit allen anderen den Krieg in seiner Eigenschaft als Einheitskrieg gewinnt.
Doch hat die schnelle Beendigung des Treffens in Frankreich der Menschheit viel erspart. So wurde die Zerstörung der Stadt Paris vermieden, die als ein Kunstwerk höchsten Ranges uns allen unersetzbar ist. Sie möge als eine mit alten und schönen Dingen überreich gefüllte Arche aus dieser Sintflut den Strand der neuen Sicherheit erreichen, um fernere Geschlechter zu erfreuen.
Auch wird man erkennen, daß die Besetzung trotz aller Leiden, die sie brachte, auch Samen der Freundschaft hinterließ. Zwar war fast alles verfehlt, was man von Staat zu Staat versuchte – schon deshalb, weil die Freiheit mangelte, die ja die Quelle des Einvernehmens ist. Auch fehlte es nicht an Übergriffen, Beugung des Rechtes, Gewalttat jeder Art. Es ist für beide Länder wichtig, daß sie gesühnt werden.
Doch lernten sich auch die Besten der Völker kennen, denn immer bieten solche Schicksalszeiten auch zur Hilfe Gelegenheit. Die Achtung, die Freundschaft und auch die Liebe spannen eine Fülle von feinen Fäden, die fester haften werden als mancher Staatsvertrag.
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Inzwischen wiesen fürchterliche Lehren uns auf den Weg der Ordnung hin. Wenn diese nicht in einem neuen vereinten Leben nach höherem Gesetz zum Ausdruck kommen wird und wenn statt dessen die Leidenschaften den Frieden trüben, dann wiederholt sich das Schauspiel, in dem wir leben, in wütenderer Form.
Der Mensch darf nie vergessen, daß die Bilder, die
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