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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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schließt, aber heute Abend hat sie Wichtigeres im Kopf als ihre Schuhe.
    Sie haben einander 1943 kennengelernt, als sie beide noch keine dreißig waren, auch wenn Frank schon stramm darauf
zusteuerte. Er war gerade aus der Armee entlassen worden und arbeitete als Mechaniker auf der Farm von Erins Familie, reparierte Trecker und sonstige Geräte, wohnte in einem Schuppen hinter dem Haus und schlief auf einer kratzigen grünen Decke, die er über dem muffigen feuchten Heu ausgebreitet hatte. Er benutzte seinen Kleidersack von der Armee, ausgestopft mit einer seiner beiden Hosen, als Kopfkissen, verscheuchte die Ratten, die nachts aus dem Heu kamen, und betete, dass er nicht von ihnen gebissen wurde. Er sparte das Geld, das er verdiente, in der Hoffnung, irgendwann sein eigenes Geschäft zu haben, eine Reparaturwerkstatt, mit einem Schild draußen am Eingang und allem, was sonst dazugehört. In diesem Beruf war er ja in der Armee ausgebildet worden: als Mechaniker. Er verbrachte seine beiden Dienstjahre – Januar 41 bis Januar 43 – damit, in Camp Gordon, Georgia, Jeeps instand zu setzen. Er hatte kein einziges Mal das Land verlassen, war nie einem Deutschen begegnet und hatte dementsprechend auch keinen erschossen. Drei Monate nach seiner Ankunft auf der Farm sah er Erin zum ersten Mal. Sie studierte am College und war im Sommer nach Hause gekommen. Er sah, wie sie von einem Baum dicht hinter dem Haus Feigen pflückte. Und da erblickte auch sie ihn das erste Mal. Beide hielten inne in dem, was sie taten, und schauten einander an. Es war nur ein Augenblick, und als er vorüber war, stellte Mr. Gregory, Erins Vater, Frank eine Frage.
    »Wann, glaubst du, wirst du den Trecker wieder zum Laufen gebracht haben?«
    »Dauert höchstens noch eine Stunde«, antwortete Frank.
    Aber Mr. Gregory musste etwas aufgefallen sein, denn er blickte von Frank hinüber zu Erin und zurück zu Frank, und obwohl Erin inzwischen wieder Feigen pflückte und nicht mehr in ihre Richtung sah, verkündete Mr. Gregory: »Du
bist ein guter Junge, Frank. Fleißiger Arbeiter. Ehrlich. Ich mag dich, Frank …«
    »Ich mag Sie auch, Sir.«
    »… aber ich will verdammt sein, wenn ich es mit ansehen würde, dass meine Tochter an einen Nigger gerät. Ist nicht persönlich gemeint und soll auch keine Beleidigung sein. Wie ich schon sagte, ich mag dich. Aber wag es nicht, auch nur daran zu denken. Hast du verstanden?«
    Frank hielt in dem Moment einen Schraubenschlüssel in der Hand, und er brauchte all seine Selbstbeherrschung, um den Arm gesenkt zu halten, den Schraubenschlüssel nicht gegen Mr. Gregorys linke Schläfe zu schwingen und seinen Schädel zu zerknacken wie ein rohes Ei, sondern stattdessen weiter ganz ungerührt zu wirken und den Zorn tief in sich hineinzufressen, wo der Boss ihn nicht entdecken konnte.
    »Frank«, sagte Mr. Gregory, »haben wir uns verstanden?«
    »Ja, Sir«, erwiderte Frank.
    Mr. Gregory lächelte und tätschelte Franks Arm.
    »Guter Mann«, sagte er. »Das höre ich gern. Wenn du weiß wärst«, sagte er, »würde ich dich persönlich mit ihr bekanntmachen. So sehr schätze ich dich.«
    »Danke Ihnen, Sir«, presste Frank zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
    Mr. Gregory nickte und ging davon. Zweifellos hatte er das Gefühl, ein vernünftiges Gespräch geführt zu haben, von Mann zu Mann, und dass sie beide einander verstünden.
    Aber schon sieben Wochen später, sechs Wochen nach seinem ersten Gespräch mit Erin, wachte Frank inmitten eines Flammenmeers auf. Mr. Gregory hatte es herausgefunden. Frank hatte keine Ahnung, wie. Er hatte mit ihr doch nur gesprochen. Heimlich, das schon. Und darüber,
ob sie eine Zukunft miteinander hätten. Aber doch nur gesprochen. Das erste Mal, eine Woche nachdem ihn Mr. Gregory davor gewarnt hatte, seiner Tochter zu nahe zu kommen, aber in der Folge waren sie fast jeden Tag beisammen gewesen. Entweder hatte jemand sie verraten, oder Frank und Erin waren doch nicht vorsichtig genug gewesen, und Erins Eltern hatten sie entdeckt. So oder so, Mr. Gregory hatte Benzin auf seine eigene Scheune geschüttet und ein Streichholz angezündet. Das Holz war trocken und brannte schnell, und als Frank erwachte, war er umzingelt von orangeroten und weißen Flammen und dem Prasseln explodierender Hölzer. Dachteile fielen um ihn herum nieder, und er hustete und keuchte und konnte nicht atmen. Seine Augen brannten und tränten, und er hatte keine Ahnung, wo es hinausging, aber er stand auf, stand

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