Ein Akt der Gewalt
Stirn, der andere über seiner linken Augenbraue. Aus beiden sickerte Blut, aber richtig viel war es nicht. Die Löcher waren gerade groß genug, um mit einem Finger drin zu stochern. Erst dachte ich noch, das ist echt ein harter Bursche. Kriegt zwei Kugeln in die Birne und scheint nicht mal einen Aussetzer zu haben. Dann hab ich seinen Hinterkopf gesehen. Die Austrittswunden waren groß genug, um Baseballbälle drin zu versenken. Oder auf jeden Fall Mandarinen. Dann sah ich, dass drei Meter links von ihm der größte Teil seiner Hirnmasse verspritzt war. Er war nur noch ein Zombie. ›Wie geht es Ihnen, Sir?‹, fragte ich. ›Hallo‹, sagte er noch einmal. Nur ein Zombie, Sarah. Das war alles. Und er wollte nicht sterben. Wir brachten ihn ins Krankenhaus. Er hätte allein gehen können, aber das haben wir nicht zugelassen. Wir schoben ihn im Rollstuhl in die Notaufnahme, und jedes Mal wenn er jemanden sah, wiederholte er: ›Hallo. Hallo. Hallo. Hallo.‹ Es war nervig. Die Ärzte sagen, er wird wahrscheinlich gegen Ende der Woche tot sein, wenn er überhaupt stirbt – denn vielleicht bleibt er auch am Leben. Man säubert jedenfalls die Wunden, als würde er bestimmt am Leben bleiben. Und wenn er das tut, dann wird er nur durch die Gegend laufen und ›Hallo‹ sagen. Er wird nur ein Zombie
mit halbem Kopf sein. ›Hallo. Hallo. Hallo. Hallo.‹ Ich habe einen Freund gefragt, einen Cop, ob es irgendwelche Anhaltspunkte gibt. Er scheint davon auszugehen, dass sie den Kerl, der geschossen hat, niemals kriegen werden. Auch die Frau, die die Cops gerufen hat, sagt, dass sie nur die Schüsse gehört hat. Beim ersten hat sie gedacht, ein Auto habe eine Fehlzündung oder so. Aber als sie nach dem zweiten Schuss das Fenster erreicht hatte, war der Schütze schon auf und davon und hatte diesen Typ, der Frau und Tochter hat, zurückgelassen, diesen Typ, der gehen und ›Hallo‹ sagen kann, aber sonst gar nichts.« Manchmal redet er mit Sarah, und dann wieder sitzt er einfach nur da und starrt in die Gegend. Aber er schläft niemals gleich, nachdem er nach Hause gekommen ist. Gegen zehn Uhr, wenn so ziemlich alle, die zur Arbeit müssen, weg sind, ist es ein wenig ruhiger, und er hat Zeit gehabt, sich die Arbeit vom Körper zu spülen, hat sie an sich hinunterrinnen und von den Fußsohlen abtropfen lassen. Er geht dann hinüber in sein Schlafzimmer, legt sich aufs Bett und starrt auf die Wandschranktür. Nach einer Weile steht er auf und öffnet sie. David mag keine geschlossenen Türen. Er weiß auch nicht, warum, aber er kann sie nicht ausstehen. Er hasst es, nicht sehen zu können, was genau sich auf der anderen Seite befindet. Wenn er eine Wohnung bezieht, greift er als Erstes zu Schraubenzieher und Hammer und entfernt die Türangeln und Türen, die seine Zimmer voneinander trennen. Nur die Türen des Wandschranks und die zum Bad verschont er. Wandschränke beherbergen manchmal ein viel zu großes Durcheinander, und obwohl er so gut wie nie Gesellschaft hat, bleibt für den Ausnahmefall die Badezimmertür unverzichtbar. Aber bei geschlossener Wandschranktür kann er nicht schlafen. Daher öffnet er sie – obwohl es zur Folge haben könnte, dass Sarah mit einem Schuh davonrennt
-, geht zum Bett zurück und legt sich wieder hin. Gegen elf findet er dann schließlich in den Schlaf. Aber schon um zwei oder drei wecken ihn die Hitze und die Nachmittagssonne, und er steht auf. Den Rest des Tages verbringt er damit, umherzuwandern, als sei er selbst ein Zombie, einzukaufen, die Wäsche zu machen, den Teppich zu saugen und das Geschirr abzuwaschen, das er in der Spüle sich hat ansammeln lassen. Manchmal besucht er einen Massagesalon. Danach hat er immer ein schlechtes Gewissen – diese Girls, die kein Englisch sprechen und denen kaum andere Erwerbsmöglichkeiten bleiben -, aber dann geht er trotzdem wieder hin. Manchmal muss er es einfach loswerden, und er braucht auch körperlichen Kontakt mit einem anderen Menschen, physischen Kontakt gleich welcher Art.
Und irgendwann ist es dann wieder Zeit für die Arbeit.
Zwei Polizeiautos mit blitzenden Lichtern parken bereits am Straßenrand, als David und John in ihrem Krankenwagen eintreffen. Warnfackeln flackern, und ein uniformierter Cop, den David nicht kennt, steht auf der Straße, um dafür zu sorgen, dass die Schaulustigen Abstand halten. David kann sich kaum vorstellen, dass es um diese Nachtzeit allzu viele sein können – aber wer weiß das schon?
John parkt
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