Ein Akt der Gewalt
etwas zufügen, aber diese anderen Menschen sind sie nicht. Sie sind Larry und Diane.
Sie sind in Sicherheit.
Es klopft an der geschlossenen Schlafzimmertür.
Diane sieht von dem Foto auf.
»Ich habe dir doch gesagt«, antwortet sie, »dass ich deinen Anblick nicht ertragen kann und nicht mit dir sprechen will.«
»Bitte, Diane«, ist Larrys gedämpfte Stimme von der anderen Seite der Tür zu hören, »lass mich doch reinkommen.«
Es wird am Türknauf gerüttelt, vergeblich dagegengedrückt. Die Tür hält stand.
Sie betrachtet das Bild und fragt sich, wie sie beide so naiv hatten sein können.
»Ich werde mich nicht von dir zum Bleiben überreden lassen«, sagt sie durch die geschlossene Tür.
»Ich will dich zu nichts überreden. Ich möchte nur mit dir sprechen.«
»Du möchtest nicht, dass ich bleibe?«
»Natürlich möchte ich, dass du bleibst. Aber es geht mir nicht darum, dich zu irgendwas zu überreden.« Stille, und dann ein sehr leises »Scheiße«, das natürlich nicht für ihre Ohren bestimmt ist. Anschließend: »Bitte, mach die Tür auf.«
Diane stellt das Foto zur Seite, sieht es noch kurz an, kippt es um und drückt die lächelnden Gesichter auf das Holz des Nachttisches. Sie will nie mehr wieder in ihre gottverdammt unschuldigen Gesichter blicken müssen.
»Diane?«
»Was?«
»Bitte.«
Gott verfluche ihn.
Sie steht auf und geht zur Tür. Einen Moment starrt sie darauf, dann schließt sie auf und öffnet.
Larry steht da und sieht sie an, ein geschlagener Mann. Seine Augen sind rot gerändert. Was von seinem Haar übrig ist, gleicht einem Vogelnest. Er trägt kein Hemd, sein wabbeliger weißer Bauch wölbt sich vor, fahl und verwundbar. Mutlosigkeit spricht aus seinem Blick, aus seiner Haltung.
In ihrem alten Leben hätte Diane auf diesen geknickten Larry nicht lange wütend bleiben können. Allein sein Anblick jetzt hätte ihr Herz gerührt. Ihr großer starker Larry,
der ausschaut wie ein kleiner Junge, dem sein Hund weggelaufen ist. Dem hätte sie nicht widerstehen können.
Aber das hier ist nicht ihr altes Leben.
»Es tut mir leid«, sagt er.
»Das reicht mir nicht.«
Larry nickt.
»Ich weiß. Ich weiß, dass es nicht reicht. Ich weiß, dass nichts reichen kann. Aber ich liebe dich, und ich will dich nicht verlieren. Das will ich nicht.«
»Du verlierst mich nicht«, sagt sie, »du hast mich ja schon weggeworfen.«
»Hab ich nicht.«
»Wie nennst du es dann? Wie nennst du das, was du mir angetan hast? Du hast ein Versprechen gegeben, das wichtigste Versprechen, das ein Mann einer Frau geben kann. Und dann hast du dieses Versprechen gebrochen. Hast es weggeworfen. Was sagt das aus über deine Gefühle für mich?«
»Nichts«, sagt er. »Es sagt verdammt nochmal nichts aus über meine Gefühle für dich.«
»Das glaube ich nicht.«
»Es sagt nur, dass ich ein Idiot bin. Es sagt, dass ich nicht zu schätzen weiß, was ich habe, bis Gefahr besteht, es zu verlieren. Es sagt, dass ich ein Dreckskerl bin, ein Loser, ein Blindgänger. Abschaum. Aber es sagt nichts aus über meine Gefühle zu dir, Diane. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. Aber wenn du mir nicht verzeihen kannst und deswegen gehen musst, kann ich das verstehen. Es bricht mir das Herz, aber ich kann es verstehen. Doch verlass mich bitte nicht, weil du meinst, mein Fehler zeige, dass ich dich nicht liebe. Ich möchte für den Rest meines Lebens, für den Rest unseres Lebens, jeden Morgen neben dir aufwachen. Das sollst du wissen. Ich habe bis eben draußen im Wohnzimmer
gesessen und überlegt, auf welche Weise ich es dir sagen kann. So ist es eben, und ich weiß nicht, was ich noch sagen sollte. Ich liebe dich. Und mehr als alles andere, was ich mir je gewünscht habe, wünsche ich mir, dass wir zusammenbleiben. Wenn du mich aber verlassen willst, geh nicht deswegen, weil du glaubst, ich liebe dich nicht oder ich hätte weggeworfen, was uns verbunden hat. Wenn du mir nicht verzeihen kannst, kannst du es eben nicht. Aber ich hoffe, dass du es kannst. Ich möchte, dass du es tust. Ich bitte dich darum. Bitte, Diane, verzeih mir. Bitte – vergib mir und lass mich alles wiedergutmachen.«
Diane sagt lange nichts. Sie steht da und sieht Larry an, dessen schmerzerfüllte gerötete Augen ihre Blicke erwidern. Sie denkt an die glücklichen Zeiten, als sie sich kennenlernten, und an die paar glücklichen Jahre, die folgten – aber sie denkt auch an die traurigen Jahre, daran, dass sie keine Kinder haben
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