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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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anderen Schluck aus seinem Flachmann, dann fühlt er sich langsam wieder wie ein Mensch.
    Er rülpst und macht sich über seinen Burger her. Er hat einen Mordshunger.
    »Hast die Zähne kaum auseinandergekriegt, seit wir den Kerl abgeliefert haben«, sagt John, den Mund voll rosa Hackfleisch und Scheiblettenkäse.
    »Hatte nicht viel zu sagen.«
    »Was hat er dir getan?«
    David zuckt die Achseln. »Auf Einzelheiten kommt es nicht an. Tut es nie.«

    Eine Weile essen sie stumm, nehmen gelegentlich einen Schluck Bier, stippen ihre Fritten in die Ketchupreste am Rand der Papiertabletts, wischen sich die Fettfinger an der Hose ab, rülpsen und essen weiter.
    »Aber du wolltest ihn tot sehen«, sagt John nach einer Weile.
    David leert sein Bier, wirft die Blechdose in die Eisbox, nimmt sich eine neue und macht sie auf. Er spült einen matschigen Kartoffelrest und noch matschigere Brotreste hinunter und sieht hinaus in den trüben Morgen.
    »Mit dem bin ich noch nicht fertig«, sagt er. »Noch lange nicht.«

39
    Thomas steigt aus der Dusche, greift sich ein Handtuch vom Halter und reibt sich trocken. Er benutzt das Handtuch schon, seitdem er vor über einer Woche das letzte Mal Wäsche gewaschen hat, und allmählich riecht es etwas muffig. Tote Haut, die sich in einem Handtuch festsetzt, riecht eben nicht gut, selbst wenn sie sauber ist. Nachdem er sich damit abgetrocknet hat, hängt er es zurück auf den Halter und nimmt sich die frische Unterhose, die er auf den Toilettensitz gelegt hat. Er zieht sie an und verlässt das Badezimmer, von einer wirbelnden Dampfwolke verfolgt.
    Er geht an den Wandschrank und öffnet die Schiebetür. Dann wählt er eine graublaue Hose mit einem schwarzen Streifen am Außensaum und steigt hinein. Er denkt an die vergangene Nacht. Er denkt an Christopher, der am Schlafzimmerfenster steht und hinaussieht. Er nimmt sich ein gefaltetes Unterhemd aus dem Regal des Wandschranks und zieht es sich über. Es ist auf links gedreht, aber das macht nichts. Er nimmt ein hellblaues Uniformhemd des United States Postal Service vom Bügel und fährt mit den Armen hinein. Dann dreht er sich weg vom Wandschrank, knöpft das Hemd zu und sieht Christopher an. Das frühmorgendliche Licht scheint durchs Fenster und beleuchtet sein Gesicht.
    »Was siehst du da?«, fragt Thomas, als er den letzten Knopf geschlossen hat.

    Christopher wirft Thomas einen Blick zu, wendet sich wieder zum Fenster und schaut hinaus.
    »Ich glaube nicht, dass jemand die Polizei gerufen hat«, sagt er.
    »Oh, Gott«, entfährt es Thomas. Er entsinnt sich an die dunkle Gestalt einer Frau letzte Nacht da draußen. »Ich glaube, du hast Recht. Wir hätten doch die Warnlichter bemerkt oder eine Sirene gehört oder so was. Ist sie immer noch da draußen?«
    Christopher schüttelt den Kopf.
    »Nein«, sagte er. »Jedenfalls kann ich nichts entdecken. Aber komm trotzdem mal her und sieh dir das an.«
    Thomas verkrampft sich der Magen. Er merkt, dass er nicht hinsehen will. Ihm wird klar, dass ihm der Anblick bestimmt nicht gefallen wird. Er braucht nicht hinzusehen, um das zu wissen.
    Er geht langsam zum Fenster, blickt Christopher dabei ins Gesicht und versucht, an seinen Zügen abzulesen, was draußen zu sehen ist. Versucht, sich darauf gefasst zu machen.
    Doch dann steht er am Fenster und blickt hinaus.
    Etwas Furchtbares ist geschehen; sie haben etwas Furchtbares geschehen lassen.
    Der Hof ist jetzt gut zu überblicken, die Außenbeleuchtung brennt noch, und das Morgenlicht erhellt die Schatten, die nicht von ihr erreicht werden. Die Sonne ist zwar noch nicht über dem Horizont zu erkennen, hat aber den Himmel bereits schmutzig weiß gebleicht. Die grauen Wolken sammeln sich dort oben, lungern herum und warten, dass etwas Schlimmes passiert.
    Nahe dem Hofeingang an der Austin Street ist eine Blutlache zu sehen. Eine rote Spur führt von dort zu einer der Bänke auf dem Hof. Die Bank ist blutbeschmiert, und weniger
als einen halben Meter entfernt bedeckt eine weitere Lache den Beton – genügend Blut, denkt Thomas, dass ein kleines Nagetier darin ertrinken könnte. Es sind blutige Fußspuren zu sehen, die von einer Frau stammen, aber die meisten – Dutzende davon – sind so groß, dass ein Mann sie hinterlassen haben muss, ein wütender Mann auf Verfolgungsjagd. Dann sind da die blutigen Abdrücke von Frauenhänden, die in einer Spur von der Bank aus um die Ecke bis zur Vordertür führen. Verschmierte Flecken und einander überkreuzende

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