Ein Akt der Gewalt
sein, ein Grund dafür, dass sie weg sind. Im Moment kommt ihm nichts Passendes in den Sinn, aber das liegt an der langen Nacht.
Elaine stolpert schlaftrunken an die Küchentür wie jeden Morgen. Sie trägt den Hausmantel, den Williams Mutter ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat. Mit verschränkten Armen lehnt sie am Türrahmen.
William nimmt beide Kaffeetassen, trägt eine zu Elaine und reicht sie ihr.
»Guten Morgen«, sagt er.
Sie schlürft ihren Kaffee.
Er schlürft seinen. Er ist gut – heiß und bitter und gut. Dampf kräuselt aus ihren Tassen und löst sich auf.
»Wo warst du letzte Nacht?«, fragt sie nach einer Weile.
»Spazieren.«
Elaine schüttelt den Kopf.
»Du lügst.«
William wendet den Blick ab. Er kann ihr nicht ins Gesicht sehen.
»Ich habe etwas Schlimmes getan.«
»Was hast du getan?«
»Ich …«
»Was hast du getan?«
Er schluckt.
»Ich hab jemandem wehgetan.«
»Was ist passiert?«
»Ich hab jemandem wehgetan.«
Er sieht seine Frau an.
Sie ist eine schwergewichtige Person. Das war sie nicht, als sie sich kennenlernten – damals war sie schlank und schön -, aber die Zeit spielt den Menschen mit, und jetzt ist seine Frau eben dick. William hat eigentlich nichts dagegen. Sie ist nämlich auch ein liebenswerter Mensch, eine gute Ehefrau. Er weiß nicht, wie er schließlich bei ihr gelandet ist. Er darf ihr nicht gestehen, was für ein Mensch er ist. Sie würde ihre Sachen packen und die Kinder nehmen und ihn verlassen und nie wiederkommen. Das würde geschehen, wenn sie es herausfände. Er darf sie nicht wissenlassen, was für ein Mensch er ist. Aber irgendwie würde er es doch gern tun. Ein Teil von ihm möchte, dass es ans Tageslicht kommt, aufgedeckt wird und damit vorüber ist.
Er setzt seine Kaffeetasse auf dem Tresen ab und greift in die Brusttasche seines Hemds. Er zieht seine Zigaretten und das Feuerzeug hervor, steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündet sie sich an.
Er darf sie nicht wissenlassen, was für ein Mensch er ist, aber ein Teil von ihm möchte es.
»Ich hab diese …«
Er nimmt einen tiefen Zug – spürt den Rauch in die Lungenbläschen kriechen, warm und schwer wie Flüssigkeit – und bläst ihn durch die Nase wieder aus. Er sieht zur Uhr an der Wand. Es ist fast fünf Uhr vierzig, zwanzig vor sechs.
»Ich muss zur Arbeit«, sagt er.
Mit drei großen Schlucken leert er seine Kaffeetasse, rülpst, hält inne und zieht dann wieder an seiner Zigarette.
Er hatte sich gesagt, es würde nicht wieder geschehen, aber es war geschehen.
Er geht zu Elaine und küsst ihre Wange. Sie dreht ihm nicht den Kopf entgegen, um den Kuss anzunehmen.
»Ich muss zur Arbeit«, wiederholt er und geht zur Vordertür. Er greift den Türknauf, zieht die Tür auf und tritt hinaus ins Morgenlicht.
Eine Minute lang bleibt er auf der Veranda stehen, raucht und betrachtet den neuen Tag. Ein neuer Tag, ja, aber es ist immer noch dieselbe alte Welt.
Er fühlt sich zittrig und schwach, weil er nicht geschlafen hat. Die Augen brennen.
Es ist Elaines Schuld. Hätte sie ihn nicht weggestoßen, wäre es niemals geschehen. Er wäre nicht wieder zurückgefahren.
Elaine öffnet hinter ihm die Tür. Verblüfft dreht er sich um.
»Was ist letzte Nacht passiert?« Sie sieht hinunter auf seine Füße. »Ist das Blut auf deinen Stiefeln? Es sieht aus wie Blut.«
Er sieht hinunter auf die Stiefel und erkennt die hellen Flecken, wo er vorher gebürstet hat. Aber darüber sieht er
auch frische Blutflecken, die er nicht abgewaschen hat. Die neuen, die er nicht weggebürstet hat. Er weiß nicht, warum er es nicht getan hat. Er hätte es tun müssen.
Er kann es ihr nicht beichten. Ein Teil von ihm möchte es.
Er kann es niemandem beichten.
»Ich komme noch zu spät«, sagt er und geht zum Wagen.
42
Patrick hat sich entschieden. Er geht zu Moms Schlafzimmer, stößt die Tür auf, während er leise klopft – Hallo, ich bin’s -, und tritt ein.
Mom sitzt im Bett und blickt hinaus in den grauen Morgen.
»Du bist schon wach«, sagt er.
»Ich hab gar nicht geschlafen.«
»Ich dachte, du wärst müde.«
»Ich sagte doch schon, dass es die Art Müdigkeit ist, gegen die der Schlaf nichts ausrichtet.«
Patrick nickt.
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagt er. »Genau darüber habe ich nachgedacht, und ich habe auch darüber nachgedacht, dass ich eingezogen werde. Habe daran gedacht, in den Krieg ziehen zu müssen, daran, nach Vietnam zu fliegen und Menschen
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