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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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leer, der Schock steht ihm ins hilflose Gesicht geschrieben.
    Er hatte sich gesagt, es werde nie wieder geschehen, doch es ist geschehen. Es ist wieder geschehen.
    Er stößt die Fahrertür auf und steigt aus.
    Elaine wird wütend sein, weil das Küchenmesser weg ist. Er wird sich dazu eine Geschichte ausdenken müssen. Vielleicht wird er ihr erzählen, dass er keinen Schraubenzieher finden konnte und deswegen versucht hat, mit der Messerspitze eine Schraube zu lockern – um was es sich gehandelt hat, wird er später überlegen: Vielleicht ist ihm ja sein Feuerzeug in den Heizungsschacht gefallen, und er musste die Abdeckung abschrauben, vielleicht auch etwas anderes – und dabei ist die Spitze abgebrochen, und er hat das Messer weggeworfen. Ja, so wird er es ihr erklären, sollte sie danach fragen. Er wird sagen, dass sie sowieso einen Satz neuer Küchenmesser bräuchten. Diese haben doch schon Rostflecken – Edelstahl? Von wegen! Wird er sagen.
    Er kann nicht glauben, dass es wieder geschehen ist.
    Es ist Elaines Schuld, weil sie ihn weggestoßen hat. Die junge Frau würde noch leben, wenn er nicht zurückgekommen
wäre, und wenn Elaine ihn nicht abgewiesen hätte, wäre er nicht zurückgefahren. Höchstwahrscheinlich nicht.
    Wie ist er zu dem Menschen geworden, der er ist?
    Er hasst sich.
    Er geht den Weg zu seiner Vordertür hinauf und stößt sie auf. Marschiert direkt ins Bad. Er hat Blut und Erde unter den Fingernägeln. Auf seinem Pullover sind große klebrige Blutflecken, die langsam trocknen. Der Stoff ist so dunkel, dass man nicht erkennen kann, ob es Blut ist. Aber das ist es. Die Knie seiner Jeans sind noch immer feucht von der Erde im Blumenbeet, und kleinste Krumen davon haben sich im Gewebe festgesetzt.
    Er zieht sich aus und betrachtet sich im Spiegel. Was er sieht, gefällt ihm nicht.
    Er stellt sich unter die Dusche und dreht das Wasser auf.

38
    David verlässt den Schnellimbiss mit einer fettigen braunen Papiertüte. Der Laden öffnet um fünf Uhr morgens und ist einer der wenigen akzeptablen Anlaufstellen, in denen er und John sich zu dieser Stunde einen kleinen Happen gönnen. Nicht weit von hier gibt es noch einen weiteren Imbiss, der die ganze Nacht geöffnet hat, aber dort ist das Essen allenfalls für Schnapsbrüder geeignet, die nur noch etwas schmecken, wenn es mehr als fünfundvierzig Prozent hat.
    Als David hier zum ersten Mal zwei Cheeseburger bestellte, sah die Lady hinterm Tresen – deren Name Annette ist, wie er später erfuhr – ihn an, als sei er nicht ganz bei Trost. »Wie wär’s mit gewendeten Spiegeleiern und Hash Browns dazu?«, fragte sie. Aber das war ein Frühstück, und gefrühstückt hatte er schon. Um neun Uhr am Abend zuvor. Nach fünf Minuten hatte er sie endlich davon überzeugt, dass er tatsächlich zwei Cheeseburger wollte und dazu Zwiebelringe. Zwei Bestellungen. Annette trat an die Fensteröffnung zwischen Gastraum und Küche, tauschte sich in gedämpftem Ton mit dem Koch aus – als hätten sie Staatsgeheimnisse zu besprechen – und kam zurück. Sie sagte ihm, sie habe Cheeseburger mit Fritten anzubieten, keine Zwiebelringe, aber ansonsten ginge es klar. Also Burger und Fritten sollten es sein, und Burger und Fritten wurden es. Wenn er dieser Tage zur Tür hereinkommt, grüßt
Annette ihn bereits mit Namen. Das Essen ist gut, und er braucht sich nicht mit taumelnden Trauerklößen abzuplagen, wie sie sich sonst in den Nachtimbissen herumtreiben, um Alkoholwolken auszudünsten. Er mag diese Typen nicht sehen – es ist, als blicke er in einen Spiegel, der die Zukunft reflektiert und nicht die Gegenwart. Er mag ja kaum dem Heute ins Auge sehen und will mit dem Morgen erst recht nichts zu tun haben, nicht, bevor es angebrochen ist – und wahrscheinlich nicht mal dann.
    Er sieht hinauf in die Wolken, die sich über ihm zusammenballen, und öffnet die Autotür. John hat bereits die Kühlbox hervorgeholt und trinkt sein erstes Bier. Gewöhnlich teilen sie sich zum Abendessen ein Sixpack. Er zieht die Beifahrertür hinter sich zu.
    Dann gräbt er in der fettigen Papiertüte und holt Johns Cheeseburger hervor, der in gelbes, mit Mayonnaise beschmiertes Papier eingewickelt ist. Er reicht ihn hinüber, zusammen mit dem kleinen Papiertablett voll Fritten. Danach greift er sich eine Dose Schlitz aus der Eisbox zwischen den Sitzen, zieht die Plastikkappe ab und drückt die Metalllasche zur Seite. Er trinkt einen Schluck. Kommt gut. Noch drei davon und den einen oder

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