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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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hundert Anfänge. Irgendwann wusste er dann nicht mehr, wie man schreibt. Da wurde es stiller. Er konnte am Ende auch nicht mehr lesen.
    Von meinem Freund hab ich jedenfalls nie was gelesen. Wollte ich auch nicht. Ich mische mich grundsätzlich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute. Er hat mich auch nie darum gebeten.
    Wenn ich mich nicht hundertprozentig um den gekümmert habe, ist alles schiefgegangen. Der war Alkoholiker und Kettenraucher und hat in seinem Zimmer alle möglichen Essensreste und angebrochene Bierdosen aufbewahrt. Und überall standen Aschenbecher, und alles stank nach Müll und Fauligem, und die Bettwäsche war grau und ranzig. Und trotzdem hab ich den total geliebt, weil ich überzeugt davon war, dass er ein Riesentalent hatte. Der war so abgehoben in seiner Weltsicht, dass jeder, mit dem er sich unterhalten hat, irgendwann aufgegeben hat. Nur ich habe ihn gleich verstanden. Weil ich ja früh gelernt habe, was hinter den Dingen oder hinter Gesagtem steht. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass wir eine Art Geheimsprache hatten in einer Welt, die für die anderen nicht existierte. Ich bin stolz darauf, dass ein Mensch, der das Wesen der Dinge begriff, mir seine Liebe schenkte und wusste, dass ich ihn verstehen würde.
    Vielleicht wollte ich ihn auch retten. Seine verrückte Seele bewahren und ihn trotzdem dazu bringen, etwas normaler zu werden, also zumindest lebensfähig. Ich hab den auch immer eingekleidet, der hatte absolut keinen Geschmack. Und ihm die Haare geschnitten, weil ihm total egal war, wie er aussah. Ich glaube, es ging mir darum, eine Sehnsucht in mir zu stillen, wenigstens bei einem Menschen Gutes zu schaffen. Geht aber nicht. Menschen mögen es nicht, wenn man ihnen ins Leben pfuscht. Ich mag das ja auch nicht. Wir haben in dem Jahr, in dem wir zusammen waren, vielleicht siebenmal miteinander geschlafen. Er war gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe. Mir machte das aber nichts aus. Sex war für mich nie ein Thema, ich hab das halt so mitgemacht und war froh, dass er nicht öfter wollte.
    Gabriel, meine erste große Liebe, lernte ich auf dem Volksfest unserer Stadt kennen. Er jobbte als Kellner im Bierzelt, und ich hatte den zweiten Platz in einem Schönheitswettbewerb gemacht. Ich war gerade siebzehn geworden und kurz vor dem Umzug in die nächstgrößere Stadt, wo ich mir irgendeine Arbeit suchen wollte und mich keiner kannte. Gabriel kam an den Tisch, wo ich mit meiner Freundin trank, und sagte, er wolle mich gern kennenlernen. Er war hübsch und durfte sich immer den silbernen Toyota seiner Mutter ausleihen. Ich glaube, er war drei Jahre älter als ich, und ich wäre vielleicht bei ihm geblieben, wenn er mich wegen seiner Eifersucht nicht immer verprügelt hätte. Einmal kam ich von meinem Kneipenjob zu spät zu ihm, und er hat mir drei Rippen und fast das Kreuz gebrochen. Ein anderes Mal haben wir im Auto seiner Mutter gestritten, weil er noch auf die Piste wollte. Ich bin ausgestiegen und hab mich auf die Kühlerhaube gelegt, weil ich das mal in einem Film gesehen hatte. Aber er gab Gas, und ich flog in hohem Bogen in den Rinnstein und hab mir alles blutig geschlagen. Er ist aber einfach weitergefahren und hat mich liegen gelassen, bis ich mich wieder aufrappelte.
    Die Männer, die mich wirklich anziehen, sind eigentlich alle gewalttätig. Ich mag das Gefühl, dass sie stärker sind als ich.
    Mit Gabriel hätte ich drei Kinder gehabt. Dreimal abgetrieben. Das war die Hölle, weil ich immer wieder allein zu pro familia laufen musste, um die Genehmigung für den Abbruch zu bekommen. Gabriel hätte wahnsinnig gern mit mir eine Familie gehabt. Er hätte auch bestimmt gut für uns alle gesorgt. Hat ziemlich viel Kohle gehabt wegen der Dealerei. Aber irgendwie hab ich einen Rückzieher gemacht. Ich mag nicht, wenn Männer sich zu mir bekennen.«

DONNERSTAG
    3
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»Wie gelingt es Ihnen heute, mit älteren Menschen umzugehen. Werden Sie ungeduldig, wenn Sie auf alte Menschen treffen? Nach allem, was Sie erlebt haben?«
    Manuela Scriba überlegte. Nach wie vor weigerte sie sich, Schuhe und Strümpfe anzuziehen.
    »Neulich habe ich abends eine alte Frau auf der Straße gesehen, die offensichtlich auch nicht mehr bei klarem Verstand war. Sie hatte in der Eiseskälte über dem Nachthemd einen schief zugeknöpften Mantel an und trug noch Pantoffeln. Das Haar war ungekämmt und hing ihr ins Gesicht. Sie stand vor dem Bahnhof und drehte sich immer wieder in alle Himmelsrichtungen,

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