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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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hatte. Aber ich hatte ja überhaupt nichts mitgekriegt. Ich hab geschlafen wie ein Murmeltier. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich lange nicht mehr so gut geschlafen wie in jener Nacht. Insgeheim war ich ein bisschen traurig, dass er sie überlebt hatte.«
    Dann schwieg Manuela Scriba, wippte mit den Füßen und betrachtete ihre Zehen.

MONTAG
    3
5
Seit dem Gespräch mit dem Kriminalkommissar fragte sich Dr. Minkowa, wann ihre Patientin den Mut und die Kraft haben würde, von der Mordnacht zu erzählen. Der Druck auf sie wuchs auch, denn das Kommissariat erkundigte sich regelmäßig nach dem Fortlauf der Therapie und ob es Erkenntnisse zu der besagten Nacht gebe. Manuela Scriba war die einzige Zeugin. Oder die Mörderin.
    An diesem Montagmorgen sagte sie überraschend: »Ich möchte Ihnen etwas erzählen. Etwas, was mir sehr am Herzen liegt. Sie dürfen es aber nicht verraten, bevor ich weiß, wie es dazu kommen konnte.«
    »Das verspreche ich Ihnen.«
    »Er heißt Reiner und kommt regelmäßig ins ›Paradies‹. Ich hab ihn aber jetzt längere Zeit nicht gesehen. Er ist Architekt und hatte wohl die Wochen davor alle Hände voll zu tun mit einem großen Bauvorhaben. Er ist Mitte fünfzig, verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Hat mir sogar mal Fotos von denen gezeigt. Er ist ein cooler Typ, erfolgreich und sehr gepflegt. Ich könnte mich aber nie in einen Kunden verlieben. Wenn ich frage: ›Was magst du besonders gern, was macht dich heiß?‹, dann bin ich automatisch Dienstleistende, dann geht es nur noch darum, meine Arbeit zu machen. Was andererseits schade ist, denn außerhalb meines Jobs hab ich keine Kraft, jemanden kennenzulernen. Und auch keine Lust.
    Reiner jedenfalls erzählte mir von dem Bekannten des Vaters eines Kollegen oder so ähnlich, der gern mal ein Mädchen zu sich nach Hause einladen würde. Ich mach das bei Männern, die ich nicht kenne, immer so, dass ich mit Rosalynn telefonisch vor und nach dem Date in Kontakt stehe. Falls einer durchdreht und sie nichts mehr von mir hört, schlägt sie Alarm. Man weiß ja nie. Das kostet mich dann fünfzig Euro extra, aber die Männer, die einen zu sich einladen, sind oft sowieso ziemlich spendabel und legen manchmal sogar noch ein Trinkgeld drauf. Der Kunde war Witwer und lebte in einer Villa in Grünwald.
    Am nächsten Abend sollte ich ihn besuchen und hätte mir auch ein Taxi nehmen dürfen. Aber ich hab ja meinen Mini. Darauf bin ich wirklich stolz. Eigene Wohnung, eigenes Auto, eigenes Geld. Dafür nehm ich vieles in Kauf, was mir eigentlich nicht so gefällt.
    Gegen sieben hab ich mich auf den Weg gemacht. Ich habe nicht gern am Abend gearbeitet. Ich glaube, ich hab so eine Art Trauma vor dem Ende des Tages, vielleicht weil meine Mutter dann immer zur Arbeit ging und mich mit meinem verrückten Vater allein gelassen hat.«
    Sie unterbrach sich, und Dr. Minkowa meinte in ihrem Blick Nervosität zu sehen, dann fuhr sie fort.
    »An dem Abend jedenfalls habe ich mich schlecht gefühlt. Es ging mir nicht gut wegen all den Gedanken, die drückten mich förmlich nieder, und es fiel mir schwer, meine Wohnung zu verlassen. Ich habe kaum geschlafen. Jede Nacht hatte ich Albträume, und bei jedem Geräusch bin ich zusammengezuckt. Es gibt diese Tage, an denen ich eigentlich gar nicht rauskann. Aber ich reiße mich dann immer zusammen, weil ich ja Geld verdienen muss.«
    Sie wirkte verzweifelt, und Dr. Minkowa wollte ihr eine Hilfestellung geben: »Wovon genau träumen Sie?«
    »Ich träume, ich wache auf, weil ich ein Geräusch gehört habe. Ich liege ganz still und atme kaum, um besser hören zu können. Ich weiß nicht, wo ich bin, aber das Ticken eines Weckers sagt mir, dass ich mich in meinem Kinderzimmer befinde. Dann höre ich das Geräusch wieder und erkenne, dass nebenan im Schlafzimmer meiner Eltern Kleiderbügel auf der Metallschiene des Schranks hin- und hergeschoben werden. Das Kreischen der Bügel ist entsetzlich. Es ist der Vorbote für eine weitere schlaflose Nacht. Mein Vater hat sich nachts immer angezogen und ist dann durch die Wohnung gegeistert, bis er mich gefunden hat. Ich konnte mich nicht vor ihm verstecken, das hätte nichts gebracht. Er hätte irgendwas kaputt gemacht oder den Ofen angeschaltet oder auf den Teppich gepinkelt. Ich musste hin. Ich hatte meiner Mutter versprochen, auf ihn aufzupassen. Ich höre die Türklinke des Schlafzimmers, sehe durch die Glastür meines Kinderzimmers das Licht im Flur angehen. Die meisten

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