Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
Vom Netzwerk:
wobei sie den Kopf schüttelte und vor sich hin murmelte. Ich hätte eigentlich hingehen müssen, um ihr meine Hilfe anzubieten, denn es war ganz klar, dass sie nie mehr nach Hause zurückfinden würde. Aber es ging nicht. Ich stand da und starrte sie an, und alle Bilder meines Vaters kamen in mir hoch, wie in einem Kino. Das Bild der Frau wurde praktisch von den Bildern meines Vaters überlagert.
    Ich habe ihr dann auch nicht geholfen, sondern bin an ihr vorbeigegangen und habe sie nett angelächelt. Freundlich sollte man solchen Menschen gegenüber schon sein, die haben ein unheimliches Gespür und sind sehr leicht zu verletzen. Aber helfen konnte ich ihr nicht.
    Meinen Vater hab ich mal an einem Nachmittag aus Versehen nicht eingesperrt. Das fiel mir aber erst auf, als ich mich darüber zu wundern begann, dass er schon seit geraumer Zeit nicht mehr rufend durch die Wohnung gegeistert war. Mein Vater hatte die Gelegenheit genutzt und war abgehauen. War aber nicht weit gekommen, weil das Gartentor abgeschlossen war, und wie man über so was drübersteigt, hatte er wohl verlernt. Jedenfalls komm ich raus, und er steht am Törchen und hat schon drei Leute vor sich versammelt. Die drei guckten völlig überfordert, weil sie aus seinen Erzählungen nicht schlau wurden. Und als ich näher kam, fragte mich einer von ihnen: ›Kannst du dem armen alten Mann hier helfen? Er weiß nicht, wo er wohnt, und sucht seine Frau.‹
    Die Gesichter zerflossen beinahe vor Mitgefühl für meinen Vater, und ich hätte kotzen können, weil mir das alles so peinlich war und ich ihn dafür hasste, dass er mich in so eine Situation brachte. Und weil er mein Vater war, aber das brauchte niemand zu wissen, das hätte ich sowieso nie zugegeben. Ich weiß nicht, warum mich das so wütend machte. Ich habe die Leute ignoriert, meinen Vater am Ärmel gepackt und weggezogen. Ich habe gesagt: ›Der wohnt hier, und seine Frau ist tot.‹ Dann hab ich ihn ins Haus geführt. Insgeheim hoffte ich, dass es am Nachmittag klingeln würde und so eine Art Jugendamt für Alte bei uns aufkreuzen und ihn mitnehmen würde. Aber es kam niemand. Meiner Mutter hab ich davon aber nichts erzählt. Sie sollte sich vor der Arbeit nicht aufregen.«

MITTWOCH
    3
4
»Wie sah Ihr Arbeitstag aus?«
    »Ich bin ja noch nicht in Rente.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie müssen nicht in der Vergangenheit davon reden.«
    Dr. Minkowa blickte sie an, und es war schwer zu sagen, ob es Anteilnahme oder Irritation war, die in ihrem Blick lag. »Gut. Also, wie sieht Ihr Arbeitstag im Allgemeinen aus?«
    »Normal. Ist immer gut durchorganisiert, ich versuche, jeden Tag im Schnitt drei bis vier Freier abzufertigen, dann komm ich gut über die Runden und hab noch Geld übrig. Viel brauch ich ja nicht.
Die Sachen, die ich für die Arbeit brauche, besorg ich mir verhältnismäßig günstig. Sonderangebote oder secondhand. Wenn die Sachen richtig toll sind, trage ich die, bis sie auseinanderfallen. Meine Kunden gucken ja eher, was ich unter den Kleidern zu bieten habe. Das ist natürlich schon praktisch, wenn man so gestört ist, dass man nicht mehr shoppen gehen kann. Da wird das Leben ungemein billig.«
    Sie lachte zum ersten Mal in diesen zwei Wochen, und ihre Zähne blitzten zwischen ihren Lippen.
    »Also … wie gesagt, ich hab ja mein Zimmer im ›Paradies‹. Da kommt mittags manchmal der Manni, den kenn ich schon über ein Jahr. Der ist easy. Der kommt in der Mittagspause aus seiner Kanzlei rüber ins ›Paradies‹ und braucht mich, um sich abzureagieren. Er ist um die fünfzig, gepflegt und höflich. Ich mach’s gern mit ihm, weil der mich immer im Stehen von hinten nimmt. Das geht zack, zack bei dem, und ich bin um einen Hunderter reicher.«
    Sie blickte auf.
    »Ich rede ungern darüber. Etwas zu tun ist was anderes, als drüber zu reden. Mir fällt das Machen leichter, da muss man es nicht so an sich heranlassen.«
    »Sie müssen nicht darüber reden, wenn Sie es nicht von sich aus wollen.«
    »Nein. Es ist nur so, dass ich mir dann so fremd bin, wenn ich drüber nachdenke, was ich so gemacht habe oder mache. Also, wie ich mein Geld verdiene. Ich möchte Sie auch nicht ekeln.«
    »Glauben Sie mir, ich ekle mich nicht.«
    Das gefiel Manuela Scriba nicht. Sie wollte eine besondere Stellung einnehmen, sich von den anderen Patienten absetzen. Unverwechselbar bleiben.
    »Bin ich austauschbar?«
    »Nein. Natürlich nicht.« Dr. Minkowa musste an den Toten denken und die

Weitere Kostenlose Bücher