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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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sie einfach laut um Hilfe schreien? Was aber, wenn niemand sie hörte? Sie wusste, dass die meisten anderen Mieter
     noch im Urlaub waren.
    Die Gedanken rasten durch ihren Kopf. Ihre Überlegungen kamen zu keinem Ergebnis. Noch nie hatte sie sich so schutzlos gefühlt.
     Erst im vergangenen Herbst hatte ihr der Vermieter vorgeschlagen, ein Schutzgitter vor ihrer Balkontür anzubringen. Sie hatte
     abgelehnt, weil es so teuer gewesen war.
    Sie wagte kaum zu atmen.
    Sie blieb noch eine Weile liegen und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Dann fasste sie einen Entschluss.
    So leise wie möglich stand sie auf. Sie schlang das Laken um ihren Körper und ging zwei Schritte auf den Schlafzimmerschrank
     zu. Sie hielt inne, machte einen weiteren Schritt und ging langsam in die Hocke. Sie tastete nach dem Griff der unteren Schublade.
     Langsam, Zentimeter für Zentimeter, zog sie die Schublade heraus.
    Mit der rechten Hand schob sie vorsichtig die Kassette mit dem Schmuck und den Ausweisen beiseite. Dann hatte sie gefunden,
     was sie suchte. Die kleine Schreckschusspistole hatte sie vor zwei Jahren von ihrer Tochter zu Weihnachten geschenkt bekommen.
     Sie hatte gelacht, als sie das Päckchen aufgemacht hatte, und gefragt, was sie damit solle. Ein wenig |282| unbeholfen hatte sie mit der Waffe hantiert, hatte sie der Höflichkeit halber noch zwei Tage auf dem Gabentisch liegen lassen,
     um sie nach den Feiertagen endgültig im Schlafzimmerschrank zu verstauen. Bis heute hatte sie nicht mehr an die Pistole gedacht.
     Sie wusste nicht einmal, ob sie geladen war.
    Schwer atmend schloss sie ihre Hand um den Griff der kleinen Waffe und zog sie langsam aus der Schublade. Sorgsam achtete
     sie darauf, nirgends anzustoßen.
    Dann stellte sie sich aufrecht und ging vorsichtig um das Bett herum. Fast wäre sie über den Staubsauger gestolpert, den sie
     am Morgen benutzt und nicht wieder weggeräumt hatte. Noch drei Schritte, und sie stand direkt vor der offenen Balkontür. Sie
     war keinen Meter von dem Unbekannten entfernt. Zwischen ihm und ihr befand sich nur die Gardine. Mit der linken Hand schob
     sie den Vorhang ein wenig zur Seite. Sie merkte, dass ihre Hand zitterte. So groß war ihre Anspannung, dass sie am liebsten
     geschrien hätte. Angestrengt versuchte sie, etwas zu erkennen.
    Dann sah sie es.
    Auf ihrer Campingliege lag jemand. Zunächst erkannte sie nur einen schwarzen Schatten. Dann sah sie, dass es ein junger Mann
     war, der offensichtlich schlief. Sie hielt die Pistole auf seinen Kopf gerichtet. Der Mann bewegte sich im Schlaf. Er drehte
     seinen Körper auf die andere Seite und gab wieder dieses Grunzen von sich.
    Sie überlegte, was sie nun tun sollte. Was sollte sie sagen?
    Schließlich ging sie zwei Schritte zurück, knipste das Deckenlicht an, zog im selben Augenblick den Vorhang auf und rief:
    «Aufstehen! Hände hoch! Ich schieße sofort!»
    Der Mann wurde wach. Er hielt sich den Unterarm vors Gesicht. Er hatte Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Offensichtlich
     wusste er nicht, wo er sich befand.
    |283| «Hände hoch!», sagte Maria Wieland noch einmal. Sie trat einen weiteren Schritt zurück ins Innere des Zimmers. Der junge Mann
     streckte die Hände über seinen Kopf.
    «Was soll ich machen?», fragte er.
    Maria Wieland merkte, dass sich ihre Aufregung schon im nächsten Moment zur Hysterie steigern würde. Sie zitterte so stark,
     dass sie fürchtete, die Pistole nicht mehr lange halten zu können.
    «Verschwinden!», schrie sie. «Verschwinde sofort!»
    Vorsichtig, ohne den Blick von ihr zu wenden, stand der Mann auf. Er trat einen Schritt zurück, fasste mit beiden Händen das
     Balkongitter und kletterte hinüber. Dann sprang er auf den Rasen. Als er unten ankam, stieß er einen unterdrückten Schmerzenslaut
     aus. Maria Wieland sah, wie sein Schatten in der Dunkelheit verschwand.
     
    Sie schloss die Balkontür und ging hinüber ins Wohnzimmer, um das achte Polizeirevier anzurufen. Sie holte das Telefonbuch
     und begann darin zu blättern. Mit einem Mal merkte sie, wie die letzte Kraft aus ihrem Körper schwand. Das Telefonbuch rutschte
     ihr aus der Hand und plumpste auf den Fußboden. Sie stützte sich an der Wand ab. Ihr Körper wurde von einem heftigen Weinkrampf
     geschüttelt. Sie ließ sich auf das Sofa gleiten und bettete ihren Kopf auf ein Kissen. Sie zog beide Knie dicht an ihren Körper
     und umschlang sie mit den Armen. Ihre Nerven vibrierten.
    Irgendwann ging das Weinen in ein

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