Ein allzu schönes Mädchen
leiseres Schluchzen über. Endlich schlief sie ein.
Als sie die Augen wieder öffnete, hatte sie fast fünf Stunden geschlafen. Draußen war es hell, und von der Straße hörte sie
die vertrauten Geräusche. Es war zehn Minuten nach zehn. Sie duschte ausgiebig, putzte sich die Zähne und zog sich an. Sie
bereitete sich ein kleines Frühstück mit Kaffee, Orangensaft |284| und zwei Scheiben Toast und war selbst erstaunt, dass es ihr nach der Aufregung dieser Nacht bereits wieder so gut schmeckte.
Später nahm sie den Einkaufskorb und schloss die Wohnungstür zweimal hinter sich ab. Sie überlegte kurz, ob sie den Wagen
nehmen sollte, entschied dann aber, dass ihr ein kleiner Morgenspaziergang gut tun würde.
Sie kam am Willemerhäuschen vorüber und lief den Berg hinab, wo sie die Offenbacher Landstraße überquerte. In dem großen Supermarkt
hinter der Tankstelle erledigte sie ihren Einkauf fürs Wochenende.
Dann suchte sie das 8. Polizeirevier auf, um Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten. Der Dienst habende Beamte war freundlich, schien aber nicht zu
verstehen, warum sie sich nicht gleich in der Nacht gemeldet hatte. Sie hatte keine Lust, es ihm zu erklären. Während sie
noch ihre Personalien in ein Formular eintrug, betrat ein aufgeregter Junge das Revier und meldete, dass sein Vater ihn geschickt
habe. In ihrem Gartenhaus schlafe ein fremder Mann. Der Garten befand sich ebenfalls auf dem Mühlberg.
Der Polizist sah Maria an. «Wenn wir Glück haben, haben wir Ihren nächtlichen Störenfried bereits gefunden. Wir werden gleich
einen Streifenwagen losschicken. Wenn Sie mögen, können Sie mitfahren.»
Maria schüttelte den Kopf.
«Nein», sagte sie. «Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können. Ich bin zu Hause.»
Als sie den Schlüssel in die Wohnungstür steckte, hörte sie das Telefon klingeln.
Es war ihre Tochter.
«Mami?»
«Ja.»
|285| «Wo warst du?
«Ich war nur kurz einkaufen.»
«Ich habe es schon ein paarmal versucht. Ich rufe wegen gestern Abend an.»
«Ja?»
«Ich habe mich schlecht benommen. Ich wollte mich bei dir entschuldigen.»
«Das ist nett.»
Habe ich also doch nicht alles verkehrt gemacht, dachte Maria Wieland. Sie lächelte.
Dann legte sie den Hörer auf und sagte leise zu sich selbst: So, und jetzt fängst du bitte nicht schon wieder an zu heulen.
|286| Zweiunddreißig
Der Junge saß auf der Rückbank des Streifenwagens. Er war aufgeregt und plapperte in einem fort auf die Schutzpolizisten ein.
Weil sie beide Raimund hießen, wurden sie von den Kollegen nur bei ihren Nachnamen genannt: Steinwachs und Toller.
«Können Sie nicht das Martinshorn einschalten?», fragte der Junge.
«Nein, es ist niemand auf der Straße, der uns stört. Und schneller können wir sowieso nicht fahren.»
«Haben Sie Ihre Revolver dabei?»
«Wir haben keine Revolver. Wir haben Pistolen.»
Obwohl ihm der forsche Ton des Jungen nicht gefiel, antwortete Steinwachs, der auf dem Beifahrersitz saß, so geduldig wie
möglich.
«Sind die Pistolen geladen?»
«Ja.»
«Werden Sie den Mann erschießen?»
«Ganz sicher nicht.»
«Schade. Werden Sie ihn verhaften?
«Vielleicht.»
«Können wir nicht doch ein bisschen schneller fahren?»
Toller, der den Streifenwagen steuerte, drehte sich halb zu dem Jungen um: «Hör zu, mein Kleiner, jetzt hältst du mal die
Klappe, sonst werden wir dich an der nächsten Ecke raussetzen, und du kannst zu Fuß weitergehen. Hast du das kapiert?!»
«Das dürfen Sie nicht. Mein Papa ist Rechtsanwalt. Sie dürfen mich nicht einfach aussetzen, sonst bekommen Sie eine Anzeige.»
|287| Die beiden Polizisten sahen einander an und verdrehten die Augen.
«Vielleicht kannst du uns wenigstens sagen, wo genau euer Garten liegt», sagte Steinwachs.
«Ich weiß nicht. Da oben irgendwo.»
«Wann hat dein Vater den Mann in eurer Gartenlaube entdeckt?»
«Um elf Uhr sechzehn.»
Steinwachs grinste. «Das ist ja immerhin mal eine exakte Auskunft. Und wie bist du so rasch zum Revier gekommen?»
«Mit dem Fahrrad.»
«Wie heißt du überhaupt?»
«Timo Schneider.»
Sie hatten die letzten Wohnhäuser hinter sich gelassen und fuhren nun in das ausgedehnte Kleingartengebiet, das sich zwischen
Oberrad, dem südöstlichen Stadtrand von Sachsenhausen und dem Stadtwald erstreckte. Die Straßen wurden schmaler, und bald
bogen sie von dem asphaltierten Weg ab in einen geschotterten schmalen Pfad, der auf beiden Seiten von Zäunen begrenzt
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