Ein allzu schönes Mädchen
zu wissen, wie sie das Gespräch beenden sollten.
«Ich habe vor, demnächst ein paar Wochen Urlaub zu machen», sagte Marthaler. «Wenn du einverstanden bist, würde ich dich gerne
einmal besuchen. Privat, meine ich.»
«Jederzeit willkommen», sagte Kamphaus. «Wenn es wirklich privat ist.»
Dann legten sie auf.
|442| Als Marthaler ins Wohnzimmer kam, sah er, dass Tereza auf dem Sofa eingeschlafen war. Der stumme Fernseher lief immer noch.
Er schaltete ihn aus. Er hätte sie gerne noch gefragt, wann sie morgen abfliegen musste, aber er wollte sie nicht wecken.
Er blieb neben ihr stehen und schaute sie an. Dann streichelte er über ihr Haar. Sie legte den Kopf auf die andere Seite und
schlief weiter. Er nahm sich vor, sie zum Flughafen zu begleiten und so vielleicht sein unhöfliches Verhalten wieder gutzumachen.
Er deckte sie mit einem Laken zu. Bevor er das Licht ausknipste, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Ich bin wirklich keusch
wie ein Mönch, dachte er. Oder wie ein Esel. Aber Esel waren nicht keusch. Er hatte irgendwo gelesen, dass sie nicht einmal
monogam waren.
Er ging ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Er putzte gerade seine Zähne, als er das Telefon hörte. Vielleicht Kamphaus,
der etwas vergessen hatte. Er beeilte sich, den Hörer abzunehmen, damit Tereza nicht aufwachte.
Er meldete sich, bekam aber keine Antwort. «KD, bist du es?»
Die Leitung am anderen Ende blieb stumm. Er legte auf.
Er knöpfte sein Hemd auf, zog es aus und warf es in den Wäschekorb. Die Hose faltete er zusammen und legte sie über die Stuhllehne.
Noch einmal ging er ins Wohnzimmer, um sich ein Buch zum Einschlafen zu holen. Tereza atmete tief und gleichmäßig.
Dann läutete das Telefon erneut.
Noch vor dem zweiten Klingeln hatte er den Hörer in der Hand. «Marthaler. Wer ist da?»
Niemand reagierte. Aber diesmal war er sicher, dass die Leitung nicht tot war. Er meinte, auf der anderen Seite jemanden atmen
zu hören.
«Hören Sie, was soll das? Melden Sie sich bitte oder legen Sie auf! Und lassen Sie uns in Ruhe!»
|443| Er hatte ‹uns› gesagt, nicht ‹mich›. Er überlegte, ob vielleicht Tereza jemandem die Telefonnummer weitergegeben hatte. Vielleicht
hatte sie einen Verehrer, der nichts davon wusste, dass sie bei einem Mann wohnte.
Das Atmen war immer noch da.
Marthaler merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Dann sagte er ein Wort, das er sonst nie benutzte. Er sagte «Arschloch»
und legte auf.
Er legte sich ins Bett und schlug das Buch auf, aber es gelang ihm nicht, sich zu konzentrieren. Als er die erste Seite zum
dritten Mal gelesen und noch immer nichts verstanden hatte, gab er auf. Er schaltete das Licht aus, schloss die Augen und
versuchte zu schlafen.
Es war immer noch sehr warm. Er schwitzte. Er schob die dünne Decke beiseite, kam aber dennoch nicht zur Ruhe.
Nach zehn Minuten stand er wieder auf, ging zum Kühlschrank, nahm eine Flasche heraus und hielt sich das kalte Glas an die
Stirn. Er trank ein paar Schlucke Mineralwasser und legte sich wieder hin.
Als die Türklingel schrillte, zuckte er zusammen. Er blieb liegen und wartete, was geschah.
Er schaute auf die Uhr. Es war bereits nach Mitternacht. Im Haus war alles still. Die meisten Bewohner waren noch im Urlaub.
Die alte Hausmeisterin lag sicher längst in ihrem Bett und schlief.
Dann klingelte es erneut. Jetzt zweimal kurz hintereinander. Er ging zur Sprechanlage. «Ja, bitte? Wer ist da?»
Keine Antwort. Außer einem Rauschen war nichts zu hören. Er öffnete die Wohnungstür und horchte in den Hausflur. Dort schien
sich jedoch niemand in der Dunkelheit aufzuhalten. Er ging zurück in die Wohnung. Ohne das Licht einzuschalten, zog er sich
an und schnallte das Holster mit seiner Dienstwaffe um.
|444| Als es zum dritten Mal läutete, stand er hinter dem dunklen Küchenfenster. Zwar konnte man von hier aus nicht den Hauseingang,
immerhin aber den davor liegenden Bürgersteig und die Straße einsehen. Wenn sich jemand vom Eingang entfernt hätte, wäre er
vom Licht der Straßenlaternen erfasst worden.
Marthaler wartete noch einen Moment. Als sich auf der Straße niemand zeigte, beschloss er nachzusehen. So leise wie möglich
schlich er durch das Treppenhaus nach unten. Licht machte er nicht. Als er den letzten Absatz erreicht hatte, hielt er kurz
inne. Er schwitzte stark. Und er meinte, sein Atem müsse im ganzen Haus zu hören sein.
Er näherte sich seitlich der
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