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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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neben sein Bett. Sie küsste sich auf die
     Fingerspitzen und tippte ihm auf die Stirn. Sie war blass.
    «Ich wünsche dir gute Verbesserung», sagte sie. «Ich muss mich beeilen.»
    «Und lass mir deine Adresse und die Telefonnummer da», rief er ihr nach.
    |450| Sie nickte noch, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Das war das Letzte, was er von ihr sah.
    Marthaler war zum Heulen zumute. Er hatte sie belogen. Sie hatte ihm das größte Opfer bringen wollen, das sie bringen konnte,
     und er hatte es zurückgewiesen. Er fühlte sich schlecht. Trotzdem war er der Auffassung, das Richtige getan zu haben. Er hoffte,
     sie würde schöne Wochen in Spanien haben. Und er hoffte, dass er nicht zu feige sein würde, sich wieder bei ihr zu melden.
     
    Am Nachmittag stand er das erste Mal auf. Er fragte die blonde Schwester, ob er in den Garten gehen dürfe.
    «Wenn du stark genug bist, geh!», antwortete sie.
    Er schaute sie verwundert an. Er konnte sich nicht erinnern, dass sie sich das Du angeboten hatten. Sie lachte.
    «Entschuldigung», sagte sie. «Das war nur ein Zitat aus einem alten Lied. Ja, wenn Sie sich kräftig genug fühlen, dürfen Sie
     in den Garten. Um fünf gibt es Abendessen. Das sollten Sie nicht verpassen.»
    Sie wollte ihm beim Anziehen helfen, aber er lehnte ab. Er wollte es allein versuchen. Er brauchte lange, stöhnte einige Male
     vor Schmerzen auf, aber schließlich hatte er es geschafft.
    Er setzte sich auf eine Bank in dem begrünten Innenhof. Ein Brunnen plätscherte, die Bienen summten, die Sonne schien. Er
     dachte an das Bild vom «Paradiesgärtchen», das er gemeinsam mit Tereza im Städel betrachtet hatte. Bloß dass es dort nicht
     all die humpelnden, bandagierten und hustenden Gestalten gegeben hatte, die den Innenhof der Klinik bevölkerten.
    Jemand hatte eine Zeitung neben ihm auf der Bank liegen lassen. Marthaler nahm sie und blätterte darin. Über die Festnahme
     Marie-Louise Geisslers wurde groß berichtet. Von einem «sensationellen Fahndungserfolg der Polizei» war die Rede. Als «Killer-Lady»
     wurde das Mädchen nicht mehr bezeichnet. |451| Dann sah er ein Foto von sich. Er wurde zitiert: «Hauptkommissar Robert Marthaler bedankte sich für die hervorragende Zusammenarbeit
     mit den Medien, die zu einem guten Teil dazu beigetragen hätten, die Gesuchte festzunehmen.» Soweit er sich erinnerte, hatte
     er lediglich von einer guten Zusammenarbeit gesprochen. Und auch das war nicht ohne Ironie gewesen.
    Auf der nächsten Seite war eine Chronologie der Ereignisse abgedruckt. Danach hatten die drei jungen Männer Marie-Louise Geissler
     als Anhalterin mitgenommen. Im Frankfurter Stadtwald sei es zu sexuellen Handlungen gekommen. Bernd Funke und der einschlägig
     vorbestrafte Jochen Hielscher hätten nach Lage der Dinge das Mädchen sowohl in dem grünen Fiat Spider als auch auf dem Waldboden
     vergewaltigt. Marie-Louise Geissler habe sich heftig gewehrt und nacheinander beide Männer mit zahlreichen Messerstichen getötet.
     Die Rolle des dritten Mannes, Hendrik Plöger, sei unklar. Als wahrscheinlich müsse gelten, dass er der Vergewaltigung und
     anschließenden Tötung zumindest als Zuschauer beigewohnt habe. Sein späteres Verhalten lasse darauf schließen, dass er unter
     einem schweren Schock gestanden habe. Womöglich habe er sich schuldig gefühlt, weil er nicht versucht hatte, die Verbrechen
     zu verhindern.
    Um den gewaltsamen Tod Georg Lohmanns im Hotel «Frankfurter Hof» zu erklären, hatte sich die Zeitung den Kommentar eines Psychologen
     besorgt: «Wir müssen davon ausgehen, dass es sich bei der Beschuldigten um eine hochgradig traumatisierte Person handelt.
     Was auch immer sie in ihrem früheren Leben erlebt hat, die Ereignisse im Stadtwald haben dieses Trauma zur Explosion gebracht.
     Als Marie-Louise Geissler Georg Lohmann kennen lernte, hatte sie wohl die Hoffnung, in ihm einen Beschützer und Wohltäter
     getroffen zu haben. Als auch dieser Mann sexuelle Handlungen von ihr |452| forderte, ist es zu einem erneuten Gewaltausbruch gekommen. Eine andere Erklärung gibt es nicht.»
    Marthaler hatte an dieser Darstellung der Ereignisse nichts auszusetzen. Es waren in etwa dieselben Schlussfolgerungen, die
     auch er gezogen hatte. Alle Spuren und Erkenntnisse liefen auf dieses Ergebnis hinaus. In dieser Hinsicht hatten die Reporter
     jedenfalls gut recherchiert und gewissenhaft berichtet. Auch wenn es noch zahllose Ungereimtheiten gab, konnte man wohl davon
    

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