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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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gerichtet.
    «Jedenfalls keines, das ich wörtlich im Vernehmungsprotokoll zitieren könnte», sagte Elvira. «Überhaupt ist mir schleierhaft,
     wie ich das zu Papier bringen soll. Sie hat während der ganzen Zeit nicht ein einziges Wort gesagt. Das hab ich noch nie erlebt.»
    «Auf Hendrik Plöger hatte sie es jedenfalls nicht abgesehen. Sein Foto hat sie unbehelligt gelassen», sagte Kerstin Henschel.
     «Und von einem Geständnis kann keine Rede sein. Sie hat auf ein Foto eingestochen, das ist nicht strafbar. Eher war es eine
     Anklage.»
    «Eine Anklage?», fragte Marthaler.
    «Sie hat uns gezeigt, wer ihr wehgetan hat.»
    «Und wen sie umgebracht hat.»
    Kerstin schüttelte zweifelnd den Kopf.
    «Auch wenn wir das glauben», sagte sie, «vor Gericht wird uns jeder halbwegs gute Verteidiger auseinander nehmen. Damit kommen
     wir nicht durch.»
    «Und wie geht es jetzt weiter?» Marthalers Frage war mehr an sich selbst als an seine beiden Kolleginnen gerichtet.
    «Ich glaube, ich brauche ein wenig Zeit, um die Geschehnisse |434| zu sortieren», sagte er. «Dass ich vorhin laut geworden bin, ist das beste Anzeichen dafür, dass meine Gedanken nicht mehr
     mit den Ereignissen Schritt halten.»
    «Und das Protokoll», sagte Elvira, «was mache ich damit?»
    «Lass», sagte er. «Darum kümmere ich mich. Mach jetzt Feierabend. Wir treffen uns morgen früh wieder. Dann aber in der großen
     Runde.»
    Dass es zu dieser großen Runde nicht kommen sollte, jedenfalls nicht mit ihm, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.
    Als Kerstin sich verabschiedet hatte, schaute Marthaler Elvira an: «Was ist eigentlich aus der Sache mit Sabine und deinem
     Schwiegersohn geworden?»
    «Sie haben den Test machen lassen, und es ist wie befürchtet: Er ist nicht der Vater der Kleinen.»
    «O Gott. Und nun?»
    «Zuerst hat er getobt und wollte sich sofort scheiden lassen. Er hat einen Koffer gepackt und ist in eine Pension gezogen.
     Gestern stand er mit seinem Koffer wieder vor Sabines Tür.»
    «Und?»
    «Mal sehen. Vielleicht geht’s gut. Vielleicht auch nicht.»
    «Ja», meinte Marthaler. «Das ist wahrscheinlich alles, was man dazu sagen kann.»

|435| Fünf
    Noch mehrere Stunden saß er vor seinem Computer und machte sich Notizen über die vorangegangene Vernehmung. Er schrieb alles
     auf, was er über Marie-Louise Geissler wusste. Das, was ihm Kamphaus erzählt hatte, was er in der Nacht in Saarbrücken aus
     den Akten erfahren hatte, und das Wenige, das die Französischlehrerin Lieselotte Grandits ihm mitgeteilt hatte.
    Wenn die Beschuldigte sich weiterhin weigerte, eine Aussage zu machen, wären sie darauf angewiesen, dem Gericht ihr eigenes
     Bild von Marie-Louise Geissler zu liefern. Das Problem war nur, dass er den Eindruck hatte, dass das Bild immer unschärfer
     wurde, je näher sie seinem Objekt kamen. Dass jede Antwort mindestens zwei neue Fragen aufwarf.
    Morgen früh würden sie das, was er zusammengetragen hatte, ergänzen müssen. Die neuesten Ergebnisse der Spurensicherung fehlten
     noch. Die Aussage des Mannes, mit dem sie vor dem Café am Liebfrauenberg gesessen hatte, kannte er ebenfalls noch nicht. Genauso
     wenig wie die Aussagen des Hotelpersonals.
    Und immer noch war völlig ungeklärt, wo sich das Mädchen aufgehalten hatte, nachdem das Auto ihrer Familie am 18.   April 1999 in den Nordvogesen den Abhang hinuntergestürzt war. Die lange Zeit zwischen diesem Vorfall und dem Tag, als sie
     an der Tankstelle Schwarzmoor in der Nähe von Bruchsal gesehen worden war, blieb ein Rätsel. Und alle drei Männer, mit denen
     sie im Frankfurter Stadtwald gewesen war, waren tot.
    Wie so oft bei einer Ermittlung hatte Marthaler das ungute |436| Gefühl, dass genau jene Teile des Puzzles die wichtigsten waren, die ihnen noch fehlten.
    Als er merkte, dass ihm mehr nicht einfallen würde, machte er einen Ausdruck seiner Notizen. Er nahm die Blätter aus dem Drucker
     und legte sie auf den Schreibtisch, damit er sie morgen vor ihrer Besprechung noch einmal durchgehen konnte.
    Als er auf die Uhr schaute, wunderte er sich. Es war bereits kurz nach acht. Ihm fiel ein, dass er eigentlich Tereza heute
     Abend mit einem Essen hatte überraschen wollen. Jetzt war es zu spät für einen Einkauf.
    Er schaltete den Computer aus, zog sein Jackett über und ging auf den Flur. Dort begegneten ihm wieder die Putzfrauen mit
     den Kopftüchern. Er war bereits an der Glastür angekommen, als er noch einmal umkehrte. Er ging in den

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