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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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zahlreichen Pannen und Unfällen etwas |122| für sie abfällt. Meist haben sie einen Informanten bei der Autobahnpolizei oder bei einem der großen Automobilclubs, der sie
     mit Tipps versorgt. Man nennt diese Firmen Fledderer. Oft unterhalten sie ein, zwei Zapfsäulen, an denen man noch vom Tankwart
     bedient wird.»
    Das Tor zur Werkstatt wurde ein Stück aufgeschoben, und heraus kam eine kleine, schlanke Frau mit dunklen, kurzen Haaren.
     Sie hatte einen Blaumann an und wischte ihre Hände an einem ölverschmierten Lappen ab.
    «Die Tankstelle ist schon geschlossen?», fragte Petersen.
    Die Frau lächelte.
    «Kein Problem», sagte sie. «Was soll’s denn sein?»
    «Voll tanken, bitte.»
    Die Frau hängte den Benzinschlauch in den Tankstutzen und begann die Scheiben des Autos zu säubern. Anschließend überprüfte
     sie den Ölstand. Marthaler war ausgestiegen. Er stellte sich vor und zeigte seinen Ausweis.
    «Hätten Sie einen Moment Zeit?»
    Sie hob die Augenbrauen, blieb aber freundlich. Ihre dunklen Augen leuchteten.
    «Bitte», sagte sie, «kommen Sie rein.» Und an Petersen gewandt: «Das Auto können Sie neben den Abschleppwagen stellen.»
    Die beiden Männer folgten der Frau in den Kassenraum.
    Sie zeigte auf ein kleine Sitzgruppe, bestehend aus einem alten, aber bequem aussehenden Sofa und zwei Sesseln, die zwar ebenso
     alt sein mochten, aber nicht zur gleichen Garnitur gehörten. Überhaupt wirkte der Raum viel wohnlicher, als man es hinter
     einer solchen Fassade erwartet hätte.
    «Möchten Sie etwas trinken?», fragte die Frau. «Ein Bier? Einen Espresso?»
    «Espresso wäre prima», sagte Marthaler.
    «Gerne, für mich auch», sagte Petersen.
    |123| Die Frau ging in einen Nebenraum. Als sie wiederkam, hatte sie ihren Blaumann ausgezogen, sich die Hände gewaschen und servierte
     den Kaffee.
    «Ecco», sagte sie, «due espressi per lo signori. Womit kann ich dienen?»
    «Sie sind Italienerin?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Nicht mehr. Ich lebe seit zwanzig Jahren hier und habe voriges Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft
     angenommen. Entschuldigung, ich habe mich noch nicht vorgestellt, ich heiße Paola Gazetti.»
    «Hatten Sie gestern Nachmittag ebenfalls Dienst, Frau Gazetti?», fragte Marthaler.
    «Wenn Sie mir jetzt Ihr Mitleid ersparen, verrate ich Ihnen, wie es ist: Ich habe immer Dienst.»
    «Die Firma gehört Ihnen?»
    «Ja», sagte sie. «Ich habe sie übernommen, als mein Mann starb.»
    «Er kam auch aus Italien?»
    «Seine Eltern stammten aus den Abruzzen, aber er war bereits hier geboren. Aber ich denke, Sie sind nicht gekommen, um sich
     meine Familiengeschichte anzuhören.»
    «Nein», sagte Marthaler. «Wir haben heute Morgen in einem Wald bei Frankfurt die Leiche eines unbekannten jungen Mannes gefunden.
     In der Kleidung des Toten befand sich eine Quittung Ihrer Firma. Deshalb sind wir hier. Wir wüssten gerne, ob Sie sich an
     den Mann erinnern.»
    Marthaler zog das Foto aus der Innentasche seines Jacketts und reichte es der Frau. Paola Gazetti schaute es sich lange an,
     dann hob sie die Schultern.
    «Tut mir Leid», sagte sie. «Aber den Jungen habe ich nie gesehen.»
    «Aber Sie waren gestern Nachmittag hier?»
    «Ja.»
    |124| Doch dann schien sie zu stutzen.
    «Warten Sie, da fällt mir etwas ein. Um wie viel Uhr ist die Quittung ausgedruckt worden?»
    «Um 15.32   Uhr», sagte Marthaler.
    «Nein, stimmt», sagte sie, «da war ich kurz auf der Bank. Mein Neffe war hier, um mich zu vertreten.»
    «Ihr Neffe?»
    «Ja, der Sohn meiner Schwägerin. Er hat gerade Abitur gemacht und wartet auf den Beginn seines Studiums. Er schraubt gerne
     an Autos herum und hat in den letzten Wochen öfter in der Werkstatt ausgeholfen. Er kam um kurz vor zwei und ist so gegen
     vier wieder gegangen.»
    «Hat er irgendetwas gesagt? Gab es besondere Vorkommnisse?»
    «Besondere Vorkommnisse?» Ihre Augen blitzten, und ihre Stimme klang ein wenig belustigt. «Eine solche Formulierung kann auch
     nur ein deutscher Commissario benutzen. Nein, er hat nichts gesagt. Keine Vorkommnisse.»
    Marthaler, der sich etwas darauf zugute hielt, das so genannte Beamtendeutsch möglichst zu vermeiden, fühlte sich ertappt.
     Um seine Verunsicherung zu überspielen, schlürfte er an seiner leeren Espressotasse und fragte: «Und wo können wir Ihren Neffen
     finden?»
    «Ich weiß nicht, vielleicht ist er zu Hause, vielleicht ist er bei seiner Freundin.»
    «Können wir ihn telefonisch erreichen?»
    Marthaler

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