Ein allzu schönes Mädchen
Jahre alt und bereits zweimal vorbestraft – einmal wegen Zuhälterei,
das andere Mal wegen Hehlerei. Auf den sollten wir uns vorerst konzentrieren. Er wohnt in der Wetteraustraße.»
«Aber wir suchen die Identität eines Mordopfers und keinen Kriminellen aus dem Rotlichtmilieu», sagte Petersen.
«Ja», erwiderte Marthaler, «aber wer würde sich besser als Opfer eignen? Wer selbst gefährlich ist, der lebt auch gefährlich. |131| Und außerdem ist ja noch gar nicht gesagt, dass Gessner auch derjenige ist, der gestern Nachmittag den Wagen gefahren hat.»
Als sie Frankfurt erreichten, war es kurz nach halb zwei. Die Stadt war dunkel und die Straßen leer. Nur wenige Autos begegneten
ihnen: ein paar Taxis, ein paar Streifenwagen, ein Nachtbus. An einem 2 4-Stunden -Imbiss auf dem Alleenring machten sie Halt. Marthaler ging hinein. Hinter dem Tresen stand eine junge dunkelhäutige Frau.
Sie trug eine rote Bluse und auf dem Kopf ein ebenso rotes Häubchen. Sie schaute Marthaler an. Er bestellte vier Dosen Cola
und zwei Käsesandwichs.
«Du viel müde», sagte sie, während sie die Waren in eine Plastiktüte packte.
«Ja», sagte Marthaler.
«Cola nix gut. Du besser schlafen. Cola nix gut für Magen.»
«Morgen», antwortete er und bezahlte. «Morgen werde ich schlafen.»
«Was machen wir jetzt?», fragte Petersen, als Marthaler wieder neben ihm saß.
«Ich weiß nicht. Lass uns zu Gessners Adresse fahren, dort werden wir entscheiden.»
Langsam fuhren sie an einer Reihe dunkler Einfamilienhäuser vorbei. Als sie fast am Ende der Wetteraustraße angekommen waren,
zeigte Petersen auf ein zweistöckiges Reihenhaus. «Dort ist es.»
Hinter den geschlossenen Vorhängen eines Fensters im Erdgeschoss brannte Licht. Petersen parkte den Wagen zwanzig Meter weiter
am Rand einer Kleingartensiedlung. Er stellte den Motor ab und schaltete die Scheinwerfer aus.
«Lass uns reingehen», sagte Marthaler. «Ich will nicht bis morgen warten.»
Leise schlossen sie die Wagentüren und gingen durch die |132| Dunkelheit zu dem Haus. Das Gartentor stand offen. Über einen Plattenweg erreichten sie die Haustür. Marthaler legte seinen
Kopf an die Tür und lauschte einen Moment. Er nickte. Es war jemand zu Hause. Jedenfalls hörte man Stimmen aus einem Fernsehapparat.
Dann drückte er auf den Klingelknopf. Sie warteten. Der Fernseher wurde abgestellt, sonst geschah nichts.
Marthaler klingelte wieder. Instinktiv griff er unter sein Jackett und überprüfte den Sitz seiner Dienstwaffe. Er schwitzte.
Er hatte Angst.
Im Haus rührte sich nichts.
Zwei Minuten später wurde auch das Licht im Erdgeschoss ausgeschaltet. Marthaler trat einen Schritt zurück. Er sah, wie der
Vorhang sich bewegte. Dann schlug er mit der Faust gegen die Tür. «Machen Sie bitte auf! Hier ist die Polizei.»
«Scheiße», sagte eine Männerstimme im Inneren des Hauses. «Was gibt’s?»
«Herr Gessner?»
«Ja.»
«Machen Sie auf! Wir müssen mit Ihnen reden.»
Ein dicker Mann in Unterhemd und Jogginghose schaute durch den Türspalt. Der Geruch von Bier und Zigarettenqualm schlug den
beiden Polizisten entgegen. Marthaler zeigte seinen Ausweis.
«Sind Sie Jörg Gessner?», fragte er.
«Nee.»
«Sondern?»
«Markus Gessner.»
«Aber eine Person namens Jörg Gessner ist hier gemeldet», sagte Marthaler und musste, kaum hatte er den Satz ausgesprochen,
daran denken, dass Paola Gazetti ihn bei einer solchen Formulierung wohl ausgelacht hätte.
«Is mein Bruder», sagte Gessner.
|133| «Und ist Ihr Bruder zu Hause?»
«Nee, hab ihn seit zwei Tagen nicht gesehen.»
Marthaler und Petersen sahen sich an. Marthaler zog das Foto des Toten aus der Tasche und reichte es dem Mann.
«Ist das Ihr Bruder?»
Gessner lachte. Aber sein Lachen ging in einen keuchenden Hustenanfall über. Marthaler schauderte beim Anblick dieses Mannes,
in dessen Züge sich die Niedertracht regelrecht eingegraben hatte.
«Nee», sagte Gessner und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, «mein Bruder is nicht ganz so tot.»
«Aber Ihr Bruder fährt einen metallicgrünen Fiat Spider?»
«Hat er mal, tut er aber nicht mehr. Hat ihn am Freitag verkauft.»
«Scheiße», entfuhr es Marthaler. «Und darüber gibt es einen Vertrag?»
«Bestimmt. Aber was geht mich das an?»
Marthaler nickte. Er gab Markus Gessner seine Visitenkarte und bat ihn, sobald sein Bruder wieder auftauche, diesem auszurichten,
er möge sich umgehend im Polizeipräsidium
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