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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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seinem eigenen Phantom nachjagte.
    «Ich weiß nicht», sagte Schilling, dem man anmerkte, wie unwohl ihm bei dem war, was er jetzt sagte. «Ich stelle mir einen
     Mann vor, sehr schlank, höchstens einssiebzig groß, lange Haare, Kapuzen-Shirt, Jeans, Turnschuhe. Ich vermute einen Drogensüchtigen,
     vielleicht einen Junkie, eher noch einen Cracker. Vielleicht homosexuell, zwischen 25 und 35   Jahren, ungepflegt. Komischerweise ist es besonders das Kapuzenshirt, das sich in meiner Vorstellung festgesetzt hat. Aber
     stellt mir jetzt bitte keine Fragen. Ich kann euch das Bild, das ich vom Täter habe, nicht einmal vernünftig begründen.»
    Manche der Kollegen nickten zustimmend mit dem Kopf, andere schienen eher zu bezweifeln, dass es sich um eine zutreffende
     Täterbeschreibung handelte. Weil aber niemand sich zu Schillings Theorie äußern wollte, bat Marthaler nun auch den Kriminaltechniker
     Carlos Sabato um seinen Bericht.
    Sabato brummte irgendetwas Unverständliches und schien dann wieder in Schweigen versinken zu wollen.
    «Was ist?», fragte Marthaler. «Gibt es etwas Neues?»
    Sabato ließ einen Moment verstreichen, bis ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Runde sicher war.
    «Etwas Neues?», sagte er dann. «Ja, ich denke doch, dass man es so nennen kann. Ich hatte nur den Eindruck, ihr würdet lieber
     noch eine Weile auf euren alten Kamellen herumkauen oder weiter irgendwelche schwulen Kapuzenshirts verfolgen.»
    |148| Marthaler beschloss, den beleidigten Unterton zu überhören. «Also, bitte», sagte er, «wir sind gespannt.»
    Und das waren sie wirklich. Niemand wagte auch nur zu flüstern, und alle schauten gebannt zu dem massigen Kriminaltechniker
     auf, der sich von seinem Platz erhoben hatte und jetzt im Stehen zu ihnen sprach. «Erstens: Der Junge hatte ziemlich edle,
     nicht gerade billige Klamotten an. Zweitens: Diese Klamotten waren, bis hin zu den Schuhen, mit Blut durchtränkt. Drittens:
     Außer der Tankquittung gab es in den Taschen des Opfers keine weiteren Spuren, die uns weiterführen würden. Viertens: Ich
     habe eine vorläufige Blutanalyse durchgeführt; das Opfer war jedenfalls nicht in unserer Datei. Fünftens: Außer dem Blut des
     Opfers befanden sich an der Kleidung auch Spuren vom Blut mindestens einer weiteren Person. Sechstens: In der Unterwäsche
     habe ich frische Spermaspuren entdeckt. Siebtens: Nicht nur Spermaspuren, sondern auch Vaginalsekret. Achtens: Dieses Sekret
     und das Fremdblut gehören mit großer Wahrscheinlichkeit zur selben Person. Wir können also davon ausgehen, dass unser Opfer
     kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr hatte.»
    Sabato machte eine kurze Pause, schaute Schilling an und sagte dann: «Und zwar mit einer Frau. Wie es aussieht, hat ein Kampf
     stattgefunden. Möglicherweise handelt es sich um eine Vergewaltigung, aber wer hier wen vergewaltigt hat, darauf möchte ich
     nicht wetten. Der Bericht der Gerichtsmedizin gibt uns darüber vielleicht Aufschluss. Ach ja, fast hätte ich es vergessen.
     Neuntens, eine Frage: Wird hier eigentlich nur der Hauptkommissar abgefüttert, oder darf sich auch das Fußvolk bei Kräften
     halten?»
    Marthaler schaute Sabato an.
    «Alle Achtung», sagte er, «wie es scheint, hast du auch nicht viel geschlafen heute Nacht. Vielen Dank für deinen Bericht.»
    Sabato schlug die Augen nieder und machte eine gönnerhafte |149| Geste. Wie immer, wenn er mit unerwarteten Informationen konfrontiert wurde, hatte Marthaler das Bedürfnis, zunächst einmal
     allein darüber nachzudenken.
    «O. k.», sagte er. «Ich schlage vor, wir machen eine Viertelstunde Pause. Ich werde für uns alle ein zweites Frühstück bestellen.»

|150| Sechzehn
    Marthaler ging den Flur hinunter. In seinem Kopf arbeitete es. Als er in sein Vorzimmer kam, telefonierte Elvira gerade. Sie
     nickten einander zur Begrüßung zu. Er betrat sein Büro. Während er mit der Kantine sprach, schaltete er den Computer ein.
     Als er den Hörer wieder aufgelegt hatte, rief er wie jeden Morgen das Tagesprotokoll auf. Auf dem Bildschirm erschienen alle
     Meldungen, die seit Mitternacht über die Zentrale eingegangen waren. Während er über Sabatos Bericht nachdachte, schaute er
     unkonzentriert auf den flimmernden Monitor.
     
    00:03 – Schlägerei auf der Kaiserstr./Höhe Elbestr. Sechs männl., eine weibl. Person
    00:04 – Verdächtige Person in Praunheim/Heerstr./Elektrogeschäft Schmelzer
    00:07 – Einbruch Wohnung Bornheim/Höhenstr. gr.

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