Ein allzu schönes Mädchen
sicher schon etwas unternehmen können.»
Robert Marthaler stutzte. Die anderen hielten den Atem an. Einen Moment lang war er kurz davor, einen weiteren Wutanfall zu
bekommen, dann sah er, dass Sabato lächelte. Marthaler holte tief Luft, blies die Wangen auf und ließ die Luft entweichen.
Dann lachte auch er und schaute rundum in die grinsenden Gesichter seiner Kollegen.
«O.k.», sagte er, «können wir jetzt endlich anfangen? Ich |145| schlage vor, wir informieren zunächst die neu hinzugekommenen Kollegen über den Stand der Ermittlungen.»
Da sich kein Widerstand regte, fasste er selbst die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
«Gestern Morgen ist im Stadtwald die Leiche eines bislang unbekannten jungen Mannes gefunden worden, der, wie es aussieht,
mit zahlreichen Messerstichen getötet wurde. Den Bericht der Gerichtsmedizin erwarten wir im Laufe des Vormittags. Aufgrund
einer Tankquittung, die wir in der Hosentasche des Toten gefunden haben, konnten wir ermitteln, dass sich der Unbekannte noch
gestern am frühen Nachmittag in der Nähe von Bruchsal aufgehalten hat. Von einem Zeugen, den Petersen und ich gestern Abend
dort aufgesucht haben, wissen wir, dass er gemeinsam mit einer Frau und zwei weiteren Männern in einem grünen Fiat Spider
mit Frankfurter Kennzeichen nach Norden gefahren ist. Beim Versuch, den Halter des Wagens ausfindig zu machen, haben wir erfahren,
dass der Wagen am Wochenende verkauft, aber bislang nicht umgemeldet wurde. Leider haben wir den bisherigen Besitzer nicht
selbst angetroffen und wissen deshalb noch nicht, ob es sich bei dem Käufer des Autos um den Unbekannten aus dem Wald handelt.»
«Wissen wir, wer die Mitfahrer sind?», fragte Kai Döring.
«Nein», antwortete Marthaler, «weder kennen wir ihre Namen, noch wissen wir, wo sie sich aufhalten. Beschreiben konnte sie
der Zeuge auch nicht. Er sagte nur, sie alle hätten etwas … angeschlagen gewirkt.»
«‹Weggetreten› war das Wort», berichtigte Petersen.
«Ich fürchte, wir werden sie erst ausfindig machen können, wenn wir die Identität des Toten ermittelt haben», sagte Marthaler.
«Im Moment gründen all unsere Überlegungen auf den Spuren am Tatort und auf dem Zustand der Leiche. Gibt es in dieser Hinsicht
etwas Neues? Walter?»
|146| «Nein», sagte Schilling. «Aber so viel steht fest: Der Mann wurde dort ermordet, wo wir ihn gefunden haben. Und wir haben
Fußspuren der Schuhgröße 39, die zu dem nahe gelegenen Parkplatz führen und die dort plötzlich aufhören. Derjenige, der diese
Spuren hinterlassen hat, könnte sowohl ein noch unbekannter Zeuge als auch der Täter sein. Jedenfalls steht fest, dass er
kleine Füße hat und sich mit einem Fahrzeug vom Tatort entfernt hat. Die Spuren stammen übrigens von Sportschuhen der Marke
adidas. Wenn allerdings der Täter sie dort hinterlassen hat, dann hieße das, dass er noch einmal zum Tatort zurückgekehrt
wäre.»
«Woraus schließt du das?», fragte Kai Döring.
«Weil der Mann mit allergrößter Wahrscheinlichkeit bereits vorgestern Abend umgebracht wurde und weil es in der darauf folgenden
Nacht lange geregnet hat. Die Spuren wären andernfalls längst fortgeschwemmt gewesen, als wir mit der Sicherung begonnen haben.
Das, was wir ansonsten gefunden haben, haben wir an die Kriminaltechnik weitergegeben. Vielleicht kann uns Carlos schon etwas
mehr sagen.»
Sabato, der sich inzwischen zu den anderen an den Besprechungstisch gesetzt hatte, reagierte nicht. Fast schien es, als sei
er eingeschlafen.
Marthaler wandte sich erneut an Schilling. «Hast du schon eine Täterversion?»
Er wusste, wie sehr Schilling es hasste zu spekulieren, und er wusste auch, wie gefährlich es sein konnte, sich ein falsches
Bild vom Täter und seinen Motiven zu machen, weil dadurch die Ermittlungen nur allzu leicht in die Irre geführt werden konnten.
Andererseits hatten sie nichts zu verlieren. Und weil jeder Polizist, ob er wollte oder nicht, jeden neuen Fall mit früheren,
vielleicht ähnlichen Fällen verglich und so die fehlenden Teile des Puzzles in seinem Kopf komplettierte, war die so genannte
kriminalistische Versionsbildung längst zu einer |147| wichtigen Methode ihrer Arbeit geworden. Und Marthaler hatte die Erfahrung gemacht, dass es gut war, wenn man möglichst früh
und möglichst offen darüber sprach, welche unterschiedlichen Vorstellungen sich die Beamten vom Täter machten. Besser jedenfalls,
als wenn jeder
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