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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Hochhaus/Erdgeschoss/Vorsicht Täter noch im Objekt
    00:09 – Hilflose Person, männl., Mainufer, Untermainbrücke, Sachsenhäuser Seite, Notarzt benachr.
    00:09 – Familienstreit Oberrad, Buchrainstr., laute Hilferufe
    00:12 – Autodiebstahl Firmenparkplatz Kaltz-Werke, Kruppstr.
    00:13 – Zechpreller Palais d’Amour, betrunken, randaliert, möglw. bewaffnet.
     
    Marthaler scrollte den Cursor langsam bis an das Bildende und überflog die Nachrichten. Es war nichts dabei, was für den Fall
     des unbekannten Toten von Bedeutung schien.
    |151| Er wollte sich gerade abwenden, als von der Zentrale eine neue Meldung eingegeben wurde.
    Wie elektrisiert schaute der Hauptkommissar auf den Monitor und verfolgte die länger werdende Reihe von Buchstaben.
     
    08:59   Vermisste Person, männl., 23   J.,
     
    Die Eingabe stockte für einen Moment, wahrscheinlich, weil der Telefonist die Meldung gerade erst entgegennahm und sie während
     des Telefonats eintippte. «Na, komm schon», sagte Marthaler und klopfte ungeduldig gegen den Bildschirm. Dann ging es weiter:
     
    08:59   Vermisste Person, männl., 23   J., Bernd Funke, unterw. m. grünem Fiat, Kennz. unbek.
     
    Marthaler schlug mit der flachen Hand auf die Platte seines Schreibtischs. Dann sprang er auf und fasste in die Innentasche
     seines Jacketts, um zu überprüfen, ob er das Foto des Toten bei sich hatte.
    «Sag bitte den anderen, sie sollen ohne mich weitermachen», rief er Elvira im Hinausgehen zu. Er lief die drei Stockwerke
     bis zum Erdgeschoss im Eiltempo hinunter.
    Als er in der Telefonzentrale ankam, war er außer Atem.
    «Wer hat gerade die Vermisstenmeldung entgegengenommen?»
    «Ich. Aber ich glaube, das war nichts.» Ihm grinste ein kleiner, dunkelhaariger Telefonist entgegen, in dessen rechter Ohrmuschel
     noch ein wenig Rasierschaum klebte. «Da hat wohl nur ein Bräutigam kalte Füße bekommen und sich davongemacht. Sein Vater hat
     vom Standesamt aus angerufen, wo jetzt alle sitzen und auf das Früchtchen warten. Ich habe |152| die Adresse aufgenommen und gesagt, dass wir uns bei ihnen melden. Der taucht schon wieder auf.»
    Der Telefonist schniefte. Marthaler schaute ihn kopfschüttelnd an. Er notierte die Adresse und ging zur Tür. Dann drehte er
     sich noch einmal um: «Hören Sie auf zu denken, machen Sie einfach Ihre Arbeit. Und waschen Sie sich gefälligst die Ohren,
     bevor Sie Ihren Dienst antreten.»
    Marthaler verließ das Gebäude durch den Hinterausgang. Er kramte seinen Schlüssel aus der Tasche, um das Fahrradschloss zu
     öffnen. Er hatte das Rad vorhin im Hof abgestellt. Aber dort stand es nicht mehr. Er schaute sich um, konnte es aber nirgends
     sehen. Vielleicht hatte es jemand in eine der Garagen gestellt. Er fragte nach, aber niemand wusste etwas. Das Rad blieb verschwunden.
     Es war gestohlen worden. Man hatte am helllichten Vormittag das neue Fahrrad eines Hauptkommissars der Mordkommission aus
     dem Hof des Polizeipräsidiums gestohlen, wo es ständig von uniformierten Beamten wimmelte. Marthaler war fassungslos. Er war
     noch zu verblüfft, um wütend zu werden. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm je etwas so Dreistes widerfahren war. Er dachte:
     Wenn es schon so weit ist, dann wird man über kurz oder lang auf den Gängen des Präsidiums mit Rauschgift handeln.
    Er suchte nach einem freien Streifenwagen, aber es war keiner verfügbar. Kurz entschlossen machte er sich zu Fuß auf den Weg.
     Auf der Mainzer Landstraße stauten sich die Autos in beiden Richtungen. Er durchquerte die Taunusanlage, lief über den ehemaligen
     Theaterplatz, der jetzt Willy-Brandt-Platz hieß, und kam wenig später auf dem Römerberg an. Er zeigte dem Mann am Eingang
     seinen Dienstausweis und fragte nach der Hochzeit von Familie Funke.
    «Die sind gerade wieder gegangen. Ohne Bräutigam keine Trauung.»
    Der Mann war ebenso belustigt wie der Telefonist im Präsidium. |153| Eine sitzen gelassene Braut schien sehr zur allgemeinen Erheiterung beizutragen.
     
    Vor der Paulskirche setzte sich Marthaler in ein Taxi. Er gab dem Fahrer die Adresse in Bonames. Sie kamen besser durch den
     Verkehr als befürchtet. Hinter der Friedberger Warte bogen sie links ab, um ein kurzes Stück auf der Autobahn zu fahren. Schon
     wenig später hatten sie die Abfahrt erreicht.
    Marthaler merkte, dass er es jetzt gar nicht mehr eilig hatte. Er ließ sich in der Ortsmitte absetzen. Plötzlich fühlte er
     sich elend. Ein wenig hilflos stand er in der Sonne.

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