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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Rückbank des Mercedes sinken und nannte
     sein Fahrziel. «Zum Polizeipräsidium, bitte.»
    Der Fahrer war ein junger, dunkelhäutiger Mann, vielleicht ein Inder oder Pakistani. Er fragte seinen Gast, ob er Bach möge.
     Aber Marthaler war zu erschöpft, um sich auf ein Gespräch einzulassen. Nicht einmal über Bach wollte er jetzt reden.
    «Ja», sagte er nur leise, «sehr gerne.»
    Der Fahrer legte eine Kassette ein und schaute in den Rückspiegel. Marthaler stutzte. Es war die «Kunst der Fuge», aber in
     einer Aufnahme, die er nicht kannte. Wie elektrisiert lauschte er dem Spiel zweier Geigen, einer Viola und eines Cellos. So
     gespannt, so luftig und frei hatte er diese Stücke noch nie gehört.
    «Was ist das?», fragte er. «Wer spielt da?»
    Der Taxifahrer drehte sich kurz um und grinste ihm breit entgegen. Offenbar bereitete es ihm Vergnügen, dass Marthaler die
     ungewöhnliche Aufnahme so gut gefiel.
    «Das Keller-Quartett», sagte er. «Aus Ungarn. Schön, nicht wahr?»
    Marthaler nickte.
    «Ja», sagte er, «und genau die Art Schönheit, die ich gerade nötig habe.»
    Marthaler schloss die Augen. Er befahl sich, alle Gedanken an tote junge Männer und traurige Bräute für die Dauer dieser Taxifahrt
     beiseite zu schieben. Er wollte nur dieser Musik lauschen |160| und hatte das Gefühl, dass er daraus so viel Kraft ziehen würde wie aus zwölf Stunden Tiefschlaf. Er merkte, wie die Anspannung
     aus seinem Körper wich. Seine Züge wurden weich.
    «Vielen Dank», sagte er, als sie vor dem Präsidium angekommen waren. «Ich muss zugeben, selten etwas so Schönes gehört zu
     haben.»
    Der Fahrer nahm die Kassette aus dem Recorder und drückte sie Marthaler zusammen mit der Quittung in die Hand.
    «Für dich», sagte er.
    Marthaler wollte sich gegen dieses Geschenk nicht wehren. Denn für eine kleine Weile würde er sich etwas weniger einsam fühlen
     in dieser Stadt.
    Er stand auf der Straße und sah dem davonfahrenden Taxi nach. Er hätte dem Fahrer gern noch etwas Nettes gesagt, aber es fiel
     ihm nichts ein. Die kleine, freundliche Geste des Fremden hatte ihn hilflos gemacht.
     
    «Oh, Robert», sagte Elvira, als Marthaler das Kommissariat betrat, «die Kollegen sind ziemlich sauer auf dich. Du hättest
     nicht einfach so verschwinden sollen.»
    «Ich weiß», sagte er. «Versuch bitte, alle nochmal zusammenzutrommeln. Ich brauche eine Viertelstunde.»
    Er ging in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Auf seinem Schreibtisch lag ein erster Bericht der Gerichtsmedizin.
     Marthaler schrieb auf den oberen Rand der ersten Seite den Namen Bernd Funke und das Aktenzeichen. Dann begann er zu lesen.
     Die Leiche wies sechzehn Schnitte und Stiche auf, die von einem langen scharfen Gegenstand herrührten, wahrscheinlich einem
     großen Fahrtenmesser. Die meisten Stiche befanden sich an Bauch und Brust, drei allerdings auch im Genitalbereich. Der letzte,
     tödliche Stich ins Herz war dem jungen |161| Mann vermutlich beigebracht worden, als er schon fast verblutet gewesen war. Ganz zum Schluss hatte man ihm noch die Kehle
     durchgeschnitten. Die Art der Wunden wies darauf hin, dass der Täter kleiner war als sein Opfer. Wie Sabato ging auch der
     Pathologe davon aus, dass Funke kurz vor seinem Tod noch Geschlechtsverkehr gehabt hatte. An seinem Hals fanden sich Kratzspuren,
     unter seinen Fingernägeln Hautpartikel.
    Vierundzwanzig Stunden lang hatten sie im Nebel gestochert und nicht einmal gewusst, wer der Tote war. Jetzt stürzten die
     Neuigkeiten auf sie ein. Aber mit jeder zusätzlichen Information stieg auch die Zahl der offenen Fragen. Wo hatte sich Bernd
     Funke aufgehalten, seit er am Samstagvormittag sein Haus und seine Verlobte verlassen hatte? Wer waren seine Begleiter gewesen?
     Wo hielten sie sich jetzt auf? Und wer hatte einen Grund gehabt, den jungen Mann auf so bestialische Weise zu ermorden? Marthaler
     ärgerte sich, dass er den Hinterbliebenen nicht mehr Fragen gestellt hatte, sein Verhalten war unprofessionell gewesen.
    Er nahm einen Bleistift und ein leeres Blatt Papier aus seinem Schreibtisch. Wieder schrieb er den Namen des Toten auf und
     daneben das Wort «Schwein». Warum hatte ihn Bettinas Vater so genannt? Hatten sie Streit gehabt, hatten sie sich gehasst?
     Was war der Grund? Die meisten Gewaltverbrechen wurden im direkten persönlichen Umfeld begangen; Täter und Opfer kannten sich
     oft seit langer Zeit, hatten eine gemeinsame, häufig verwickelte Geschichte, in der sich

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