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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Befürchtungen belasten. Aber es
     ist jetzt einige Stunden her, dass die Zeitungen das Verbrechen gemeldet haben. Und auf irgendeine Weise sollte doch wenigstens
     einer der drei Begleiter Bernd Funkes davon erfahren haben. Ich glaube, wir haben nicht allzu viel Zeit.»

|165| Achtzehn
    Marthaler kämpfte gegen seine Ungeduld. Er nahm den Telefonhörer auf, aber als er ansetzte zu wählen, hatte er vergessen,
     wen er eigentlich anrufen wollte. Er begann in einer Akte zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Er schaute jede
     Minute auf die Uhr. Dann ging er ins Vorzimmer, nahm die kleine schwarzgelb gestreifte Plastikkanne vom Fensterbrett, zapfte
     Wasser und begann, die Blumen zu gießen. Elvira schaute von ihrer Arbeit auf und grinste. «Was ist los, Robert?»
    «Was soll los sein? Nichts.»
    «Komm schon. Auf die Idee, Blumen zu gießen, kommst du nur, wenn du unter Hochspannung stehst.»
    Marthaler fühlte sich ertappt, aber er lächelte. «Ich warte auf den Anruf von Bettinas Vater.»
    «Warten kannst du auch draußen. Es geht mir nämlich auf die Nerven, wenn du hier rumfummelst. Außerdem wirst du die Blumen
     noch ertränken, wenn du so weitermachst. Warum gehst du nicht einfach ein bisschen in der Sonne spazieren?»
    Marthaler fuchtelte hilflos mit den Händen. Er schämte sich, dass er noch immer nicht wusste, wie man die Telefonanlage so
     umstellte, dass alle eingehenden Anrufe auf sein Handy umgeleitet wurden. Aber Elvira schien seine Gedanken zu erraten.
    «Ich mach das schon», sagte sie. «Nun verschwinde. Bitte!»
    Er warf ihr einen dankbaren Blick zu, aber sie hatte sich schon wieder ihrer Arbeit zugewandt und wedelte ihn mit einer Handbewegung
     aus dem Zimmer.
    Die warme Luft staute sich zwischen den Häusern. Marthaler |166| zog sein Jackett aus und legte es über die Schultern. Er war wie benommen. Er hatte das Gefühl, als würde er seine gesamte
     Umgebung, die Autos, die Passanten und die Geräusche der Stadt durch eine dicke Glasscheibe wahrnehmen. Der wenige Schlaf
     machte ihm zu schaffen, und es war Stunden her, dass er etwas gegessen hatte. Vor Müdigkeit und Hunger fühlte er sich ein
     wenig berauscht.
    Am Bahnhof wollte er gerade die Schienen der Straßenbahn überqueren, als ihn jemand an der Schulter packte und zurückzog.
     Er hörte das Klingeln der Alarmglocke, das Quietschen der stählernen Räder und sah, wie der Fahrer in seiner Kabine aufgeregt
     gestikulierte. Marthaler drehte sich um. Hinter ihm stand ein riesenhafter junger Mann, fast noch ein Junge, der ihn jetzt
     anlächelte. Marthaler schaute hoch in das breite Gesicht des Riesen.
    «Danke», sagte er, «das hätte schief gehen können. Ich war in Gedanken.»
    Der Riese antwortete nicht. Er wiegte nur freundlich seinen Kopf. Marthaler war nicht sicher, ob er verstanden wurde. Hautfarbe
     und Augenform ließen vermuten, dass der Junge aus Asien kam. Er hatte die Kopfhörer seines Discman in die Ohren gestöpselt
     und hörte laute Musik.
    Marthaler schrie jetzt fast.
    «Darf ich dich zu einer Tasse Kaffee einladen?», fragte er.
    Aber der Junge hob nur seine Pranken, schüttelte den Kopf und walzte über die Straße. Bei jedem Schritt bewegte sich sein
     Oberkörper schwerfällig hin und her. Marthaler schaute ihm nach und sah noch, wie der junge Riese in einem Fastfood-Restaurant
     verschwand.
    Dafür, dass er gerade vor einem schweren Unglück bewahrt worden war, fühlte Marthaler sich erstaunlich ruhig. Aber er wusste
     von ähnlichen Ereignissen, dass das Entsetzen oft erst im Nachhinein kam. Das ganze Ausmaß einer Gefahr begriff |167| man oft erst, wenn man wieder zur Ruhe gekommen war und Zeit zum Nachdenken hatte.
    Marthaler schaute auf die Uhr. Seit er das Präsidium verlassen hatte, waren gerade mal fünf Minuten vergangen. Er schlenderte
     im Schatten der Häuser auf dem Bürgersteig die Kaiserstraße hinab. Er hatte nichts zu tun, als auf den Anruf von Bettinas
     Vater zu warten. Ab und zu blieb er vor dem Schaufenster eines Sexshops, eines Billigmarktes oder eines Fotogeschäftes stehen
     und betrachtete die Auslagen, ohne sie wirklich wahrzunehmen. In einer der Scheiben entdeckte er unverhofft sein Spiegelbild.
     Ihm gefiel nicht, was er sah. Er erblickte einen erschöpften, etwas zu dicken Mann, der älter wirkte, als er war. Marthaler
     dachte an den Fragebogen einer Zeitung, die er gelegentlich las, wo jede Woche ein Prominenter gebeten wurde, sich selbst
     zu beschreiben. Er überlegte, wie

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