Ein Alptraum für Dollar
selbstverständlich waren nur die Hunde schuld am Scheitern der Expedition, nur die unvorhersehbare Kälte, nur die zu früh einsetzenden Blizzard-Stürme. Alles hatte sich gegen die Briten verschworen! Und Scott erklärte stolz Seiner Majestät:
»Wir haben eben Pech gehabt. Jetzt kenne ich die Antarktis wie kein anderer. Und bei der nächsten Expedition, da werde ich den >Union Jack< für England am Südpol aufpflanzen. Unsere Fahne wird dort als erste im tosenden Eissturm flattern!«
Captain Scott läßt sich dann einige Jahre lang gebührend feiern — bis er Kathleen heiratet. So sehr sie ihn aber auch drängt, sich nun endlich auf die groß angekündigte zweite
Expedition vorzubereiten, er nimmt sich Zeit! Wer sollte ihm schon den Südpol wegschnappen?! Ernest Shackleton vielleicht? Sein unglücklicher Partner bei der ersten Reise? Als Scott 1908 erfährt, daß er gerade auf eigene Faust losgesegelt ist, mit dem Ziel, den Südpol als Erster zu erreichen, lächelt er nur müde. Aber als Anfang September 1909 die Nachricht kommt, Shackleton sei bis zu 97 Seemeilen — also etwa 180 Kilometer — an den Pol herangekommen, da wendet sich plötzlich das Blatt. Der neue Held heißt Shackleton, und Scott stürzt in der Weltrangliste der Polarforscher bis zu den Plätzen »unter ferner liefen«! Von diesem Augenblick an ist Scott von einer krankhaften Prestigesucht befallen. Er ist besessen. Die Jahre 1908 und 1909 werden für ihn zur Hölle.
Polar-Expeditionen sind »in«!
April 1908 schlägt eine Nachricht wie eine Bombe ein: Der Amerikaner Frederick Cook hat den Nordpol erreicht! Gott sei Dank wurden dann seine Angaben umstritten. Scott atmet auf. Aber genau ein Jahr später, im April 1909, ist ein anderer Amerikaner am Nordpol: Robert Peary! Und nun, schon einige Monate später, auch noch Shackleton fast am Südpol!
Nun muß Scott schnellstens etwas unternehmen. Denn er weiß ja, daß jetzt der Traum des Norwegers Roald Amundsen, das Olaf-Kreuz am Nordpol aufzupflanzen, durch den Amerikaner jäh zerstört wurde. Er wollte sich gerade auf den Weg zum nördlichsten Punkt der Erde machen, was nun? Nun erklärt Amundsen:
»Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu versuchen, die letzte große Frage zu lösen — den Südpol!«
Wenn Sie den »Kampf um den Südpol« gelesen haben, von dem Stefan Zweig 1927 in seinem Buch »Sternstunden der Menschheit« erzählt hat, nun, dann werden Sie jetzt vielleicht erstaunt sein zu erfahren, wie glanzlos diese Sternstunde in Wirklichkeit gewesen ist. Stefan Zweig konnte es damals nicht anders beschreiben, denn die »Legende um Scott« — der Kult um diesen »Märtyrer des Forscherdrangs« — blieb unversehrt und unangetastet bis 1979. Da veröffentlichte der englische Journalist Roland Huntford einen ganz neuen Bericht von 665 Seiten, nach jahrelangen, wissenschaftlichen Recherchen. Mit seinem Buch »Scott und Amundsen« brachte er endlich die Wahrheit ans Licht — ein Buch, das die Gemüter aufwühlte!
1910: Der wahnsinnige Wettlauf beginnt. Die britische und die norwegische Südpol-Expedition setzen die Segel und kreuzen quer durch die Weltmeere, Kurs auf Süden. Diese doppelte Südpolfahrt war das letzte originale Abenteuer auf dem Weg des Menschen, die Erde zu erforschen: Abenteuer als Selbstzweck, als theatralischer Effekt, als Schau, um den Hunger nach zeitgenössischen Helden zu stillen. Es war die letzte auf dieser Erde noch mögliche Entdeckungsfahrt — und das Ziel war ein lebloses, menschenleeres Nichts.
Am 2. Januar 1911 landet Scotts Schiff »Terra Nova« in der McMurdo-Bucht am westlichen Ende des Eisschilds über dem Rossmeer.
Am 14. Januar 1911 kommt Amundsens Schiff »Fram« — also »Vorwärts« — 800 Kilometer entfernt, am östlichen Ende dieser Ross-Barriere in der Walfisch-Bucht an. An Bord der beiden Schiffe beginnt nun das zermürbende Warten! Zehn Monate lang überwintern in antarktischer Nacht — und dies nach einer endlosen Seereise um die halbe Erdkugel! Ja, es waren schon richtige Expeditionen damals.
An Bord der »Fram« — nur achtzehn Männer und vierzig Huskies.
An Bord der »Terra Nova« — ein Aufgebot von fünfundsechzig Männern, zweiunddreißig Schlittenhunden und neunzehn sibirischen Ponys. Und nicht zu vergessen: die Wunderwaffe — drei Schlitten mit Motor ausgerüstet. Zwar haben die neuartigen »Schneekatzen« bei allen Testfahrten versagt, doch Captain Scott ist so davon überzeugt, damit dem Pol entgegenrasen zu
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