Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
wiedergesehen, hätte gern noch einmal mit ihr auf diesem Felsen gestanden, um in den Sonnenaufgang zu schauen… Nun ja … Und wie sollte er seine Sachen zum Bahnhof bringen? Wahrscheinlich war er inzwischen kräftig genug, um sie bis zur Straßenbahn zu schleppen … Stufe um Stufe stapfte er mit dem Koffer und der klobigen alten Tasche, in die seine Mutter im letzten Moment eine Menge sinnloses Zeug gestopft hatte, die Treppe hinunter. Das Geräusch des polternden Gepäcks rief Mrs Tracy an die Küchentür. Verwundert starrte sie Vance an.«Wo gehst du hin?»
    Vance sagte, er fahre nach New York.
    Sie erschrak ein wenig.«Oh, aber dann warte wenigstens bis morgen. Ich wollte nicht …»
    « Ich gehe lieber heute», antwortete er kühl.
    Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab.«Es ist niemand da, der dir helfen kann, deine Sachen zur Straßenbahn zu bringen. Ich wollte nicht …»
    « Ich glaube, ich muss los», wiederholte Vance. Er lief ein Stückchen den Gartenweg hinunter, dann drehte er sich zu Mrs Tracy um.«Ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Gastfreundschaft bedanken», sagte er, und sie stammelte wieder:«Aber du verstehst nicht … Ich wollte nicht …»
    « Aber ich», sagte Vance. Er schulterte sein Gepäck und ging zum Tor. Mrs Tracy stand weinend auf der Veranda, dann lief sie hinein und schloss die Tür hinter sich. Vance schleppte sich die ausgefahrene Straße entlang und konnte seine Schwäche daran ermessen, dass das Gewicht seines Gepäcks mit jedem Schritt zunahm. Der Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er die Einmündung zur Landstraße erreichte. Er setzte sich unter denselben Weißdorn, unter dem er erst vor Kurzem in der Sommerdunkelheit auf Halo Spear gewartet hatte. Was seither geschehen war, verdunkelte sogar die Erinnerung an diesen Tag. Er wollte nicht einmal mehr daran denken, wie Miss Spear ihn am Arm berührt und zur aufgehenden Sonne gedreht hatte oder wie sie ausgesehen hatte, als sie am Teich saß, den Kopf auf die Hand gestützt, und zuhörte, wie er ihr seine Gedichte vortrug. All das schien zu der weit entfernten Welt der Berge zu gehören, der Welt, die er freiwillig aufgegeben hatte, warum auch immer …
    Die Straßenbahn kam, er stieg ein und ließ sich zum Bahnhof fahren. Dort angekommen, stellte er fest, dass der nächste Zug nach New York erst in eineinhalb Stunden ging. Er verstaute seine Koffer in der Gepäckaufbewahrung, wanderte wieder hinaus und stand ziellos auf dem Vorplatz herum, wo im dünnen Schatten der Robinienäste immer noch dieselben müden Pferde mit den farblosen Mähnen ihre Köpfe schüttelten. Es schien Monate her zu sein, dass er aus dem Zug gestiegen war und diesen Platz, die altmodischen Fuhrwerke und die ermatteten Pferde erblickt hatte. Er erinnerte sich, wie erschrocken und enttäuscht er gewesen war, und stellte erstaunt fest, dass er bei dem Gedanken, all das zum letzten Mal zu sehen, quälende Wehmut empfand. Plötzlich kam ihm in den Sinn, dass ihm noch genug Zeit blieb, um nach The Willows zu laufen und einen letzten Blick auf die kuriosen, konsolengezierten Türme und Balkone zu werfen. Er hätte nicht sagen können, warum er das tun wollte, es war ein unwillkürlicher Einfall. Vielleicht weil die Stunden in dieser schattigen Bibliothek ihn in höchste Höhen gehoben hatten, höher noch als der Thundertop.
    Als er vom Bahnhof zur Hauptstraße ging, hörte er an der Ecke mit einem Mal das vertraute Jaulen des Autos aus Eaglewood. Sein Herz tat einen Sprung bei dem Gedanken, es könne Miss Spear sein.«Wenn sie mich sieht, hält sie vielleicht an und sagt, es tut ihr leid, was da passiert ist», dachte er und wurde ganz gerührt bei der Erinnerung an ihre großzügigen Wiedergutmachungen. Doch als der Wagen aus dem Verkehr ausscherte, saß niemand darin als Jacob. Vance wollte schon weitergehen, da sah er, wie Jacob ihm Zeichen machte. Ihm kam der Gedanke:« Vielleicht hat er eine Botschaft, einen Brief», und sein Herz pochte unregelmäßig, wie so oft seit seiner Erkrankung. Jacob hielt an.«Schau an! Genau Sie hab ich gesucht. Ich war grad bei den Tracys. Steigen Sie gleich ein.»
    « Einsteigen? Warum?
    « Weil die Herrschaft mich losgeschickt hat, ich soll Sie nach The Willows bringen. Man wartet dort auf Sie. Sie haben gesagt, ich soll zu Ihnen fahren und Ihnen sagen, dass Sie gleich kommen müssen.»
    Das Blut stieg Vance in den Kopf, und seine sanfte Rührung wich Trotz. Wer waren diese Leute, dass sie ihn so

Weitere Kostenlose Bücher