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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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gekommen und wie viel Zeit seit diesem Umzug vergangen war … Aber das Nachdenken war zu anstrengend, sein schmerzender Kopf sank zurück …
    Wie ein Vorwurf durchfuhr ihn die Erinnerung an Upton, aber er sagte sich, dass Upton keine Ratschläge gebraucht und sie wahrscheinlich abgelehnt hätte.«Er hat das Ganze inszeniert, alles schon im Voraus mit Hayes und dessen Freunden ausgemacht … Ob seine Mutter wohl Bescheid weiß?»Der Gedanke an Mrs Tracy war weniger leicht zu verscheuchen. Er entsann sich, dass sie sie vor Hayes gewarnt und ihnen eingeschärft hatte, schlechte Gesellschaft zu meiden und vor Einbruch der Nacht nach Hause zu kommen; er hätte viel darum gegeben, in seinem Bett in Euphoria zu liegen und ausschließlich solche Schwierigkeiten zu haben, die er mit der eigenen Familie ausfechten konnte.«Wenn ich nur wüsste, welcher Wochentag heute ist!», dachte er, und er schämte sich immer mehr der Rolle, die er gespielt hatte, und fürchtete sich immer mehr vor ihren wahrscheinlichen Konsequenzen.«Sie wird weinen – und das hasse ich», dachte er überempfindlich.
    Endlich stolperte er aus dem Bett, tauchte den Kopf in kaltes Wasser, stieg in seine Kleider und schlurfte die Treppe hinunter. Im Haus war es still, es ging offenbar gegen Abend. Auf der hinteren Veranda saß Mrs Tracy und pulte Erbsen. Ihr fahles, versteinertes Gesicht zeigte keinerlei Gefühlsregung. Sie wich seinem Blick aus und sagte nur:«Auf dem Tisch steht noch etwas gebratene Leber», dann beugte sie sich wieder über ihre Arbeit.
    « Ach, ich brauche nichts, ich habe keinen Hunger», stammelte er, dabei hätte er ihr zu gern einige Fragen gestellt, um Licht ins Dunkel seiner jüngsten Vergangenheit zu bringen, hätte sich gern entschuldigt und alles erklärt – sofern ihm eine Erklärung einfiel! Aber sie schaute nicht hoch, und er brachte es nicht fertig, seine Entschuldigungen auf ihr gebeugtes Haupt niederprasseln zu lassen, auf das zerschlissene, dünn über die Haut gespannte Haar, das den letzten Baumwollfasern auf dem Rocken 41 seiner Mutter ähnelte.«Komisch, dass Frauen im Alter so aussehen», dachte er und erschauerte vor Ekel. Um die peinliche Situation zu beenden, ging er ins Esszimmer, besah sich die gebratene Leber und die durchweichten Kartoffeln, suchte vergebens zu erraten, von welcher Mahlzeit diese Überreste wohl herrührten, und wandte sich ebenso angewidert ab wie von Mrs Tracys Kopf.
    Auf dem Flur zögerte er und fragte sich, ob er wieder in sein Zimmer gehen oder in die Hitze hinauswandern sollte. Wenn Mrs Tracy nicht auf der Veranda gesessen hätte, wäre er am liebsten dorthin zurückgekehrt und hätte sich in der Hängematte noch einmal schlafen gelegt. Dann beschloss er, umzukehren und die Sache mit ihr zu bereinigen.
    « Kann ich Ihnen bei den Erbsen helfen?», fragte er und setzte sich neben sie. Sie hob den Kopf und blickte ihn missbilligend an.«Nein, ich brauche keine Hilfe bei den Erbsen. Und auch sonst keine Hilfe von dir. Besser, du gehst nach oben und schläfst deinen Rausch aus, bevor Miss Spear und Mr Lorburn zurück sind …»
    « Meinen Rausch?»Vance wurde knallrot.«Ich weiß nicht, was Sie meinen.»
    « Verstehst du kein Englisch? Dabei wirst du all deinen Verstand brauchen, wenn du zu Mr Lorburn gehst.»
    « Welcher Mr Lorburn? Warum sollte ich zu ihm gehen?»
    « Das ist der Besitzer von The Willows. Er wird dir schon sagen, warum er dich sehen will.»
    Vance wurde angst und bang.«Ich wüsste nicht, was Mr Lorburn mir zu sagen hätte», murmelte er, dabei wusste er es ganz genau.
    « Na, er wird es schon wissen.»Mrs Tracy schob den Erbsenkorb zur Seite und stand auf. Ihr Gesicht war von bleiernem Grau, und ihre Unterlippe zuckte.«Nicht, dass es mich kümmert, was er zu dir sagt oder was du deswegen empfindest», fuhr sie in gleichgültigem Tonfall fort, der so ausdruckslos war wie ihr Blick.«Was bedeuten ein paar alte Bücher mehr oder weniger? Mir ist es egal, ob du seine Bücher genommen hast …»
    « Seine Bücher genommen?», keuchte Vance, aber sie achtete nicht auf ihn.
    « … wo du mir meinen Sohn genommen hast. Ich habe ihn dir anvertraut, Vance; ich glaubte, du hättest in diesem Haus genug Freundlichkeit erfahren, um eine gewisse Verpflichtung zu empfinden. Ich habe zu dir gesagt: ‹Gut, geht zu diesem Spiel, wenn ihr Lust habt, aber schwört mir, dass ihr noch am selben Abend zurückkommt, alle beide, und haltet euch fern von diesem Hayes und seinem wilden

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