Ein Ami in Tirol
stand für den Bauern und die Magd fest, dass der Mann von weither kommen musste.
»Entschuldigen Sie«, sagte er mit wohlklingender Stimme und einem merkwürdigen Akzent.
»Bin ich hier richtig auf dem Palauerhof?«
Er sprach, wie jemand spricht, der ständig auf einem Kaugummi kaut.
»Ja, da sind S' richtig«, sagte Alois, während Emerenz den Fremden neugierig und etwas vornübergebeugt zu umrunden begann und ihn dabei von oben bis unten musterte, denn so etwas hatte sie bisher noch nie zu Gesicht bekommen.
»Mich schickt das Verkehrsfremdenamt.«
»Fremdenverkehrsamt«, verbesserte Alois eifrig. »Und Sie wollen ein Zimmer?«
»Sehr richtig!« Der Fremde lachte. Aus seinem gebräunten Gesicht blitzten schneeweiße Zähne unter einem messerschmalen, sorgfältig geschnittenen Bärtchen, das metallisch schwarz schimmerte. Unzweifelhaft machte er einen sehr guten Eindruck.
»Jesses!«, rief Alois, Dann wackelte er zur Tür und riss sie auf. »Eva – Linda!«, schrie er in den Flur. »Ihr müsst kommen - sofort!«
Nur Augenblicke später erschienen die Schwestern auf der Stiege. Ihre Gesichter waren schneeweiß.
»Himmel, was schreist denn du so, Vater? Ist etwas passiert?«
»Ein Gast!«, wisperte er so laut, dass man es auch drinnen in der Stube noch gut hören konnte.
»Oh, Jegerl«, sagte Linda. »Und ich bin noch nicht angezogen. Geh du hinein, Eva.«
»Ich? Ich seh doch auch noch nicht besser aus«, entsetzte sich die ältere Palauertochter. »Vater, sei so gut und bitt den Gast um ein bissel Geduld. Ich komm gleich.«
»Ja, aber mach, damit er nicht wieder wegrennt«, ächzte der Bauer, denn dieses Ereignis war in einer Weise weltbewegend, nachdem der Hof noch nie vorher einen Sommergast beherbergt hatte.
»Ach du liebe Zeit, und das auch heute noch!« stöhnte Eva, nachdem sie und ihre Schwester oben angekommen waren. »Wir sind noch nicht fertig, von Vater gar nicht zu reden. Und die Kammer ist natürlich auch noch nicht gerichtet. Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt.«
»Reg dich doch nicht so auf. Ich weiß gar nicht, was du hast?« fragte Linda ungerührt. Sie steckte sich sorgfältig das Haar hoch, so wie es im Dorf Brauch war. Dabei sprach sie undeutlich, weil sie die Haarnadeln mit den Zähnen festhielt.
»Also, du bist gut!«, entsetzte sich die Ältere. »Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht.«
»Zieh dich fertig an und geh hinunter«, riet Linda, nachdem sie die letzte Nadel gesteckt hatte. »Red mit ihm, und ich rieht unterdessen die Kammer. Später kann die Emerenz ja noch einmal durchputzen. Sie geht doch erst am Nachmittag zum Fest.«
»Du hast recht«, bekannte Eva aufgeregt. »So wollen wir es machen.«
Rasch kleidete sie sich an. Bei der Frisur half ihr Linda, so gut sie es konnte.
»Meinst du, ich kann so hinuntergehen?«
»Also, wie ein Besen schaust nicht gerade aus«, wies Linda Palauer belustigt ab. »Geh nur. Ich mach da heroben alles fertig.«
Während Eva hinunterging, überlegte sie, wie man einen solchen Gast wohl am besten begrüßte. Dass irgendwann einmal jemand kommen sollte, hatte sie sich immer gewünscht.
»Mein Gott!« Sie huschte die Treppe wieder hinauf. »Und was sollen wir verlangen?« fragte sie.
Linda überlegte kurz und nannte ihr einen Preis.
»Und du meinst, das wär nicht zuviel?«
»Auf keinen Fall«, sagte die Jüngere entrüstet. »Man will ja schließlich auch etwas an seiner Arbeit verdienen. Na, geh schon, sonst rennt er auf d'Letzt wirklich wieder davon.«
Eva dachte nicht mehr großartig nach. Sie ging nach unten, betrat die Stube und war beim Anblick des Fremden zunächst baff erstaunt.
So musste ein Amerikaner aussehen.
»Eva Palauer«, sagte sie forsch, ging auf den Mann zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Herzlich willkommen bei uns.«
»James Brown«, stellte sich der Gast mit einem gewinnenden Lächeln vor und neigte sich galant über Evas Hand. »Aus New York. Auf Europatrip, Sie verstehen?«
»Ja, ja«, antwortete Eva etwas verwirrt. Mit allem hatte sie gerechnet. Doch mit einem Amerikaner nicht. Niemals.
»Sie haben ein Zimmer frei?«
»Ja, es wird gerade vorbereitet«, bestätigte sie, während sie spürte, dass ihre Sicherheit zurückkehrte.
»Mit Blick auf die Berge?«
»Mit Blick auf den großen Haselkopf, auf die Bräunlwand und den Hohen Rechen«, sagte Eva stolz. »Das ganze Bergmassiv haben Sie von Ihrem Fenster aus vor sich.«
»Wonderful!«, rief James Brown. »Das habe ich mir immer
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