Ein anderes Leben
schwer, mitzukommen. Am Telefon spricht die immer stärker besorgte Stimme der Mutter Warnungen aus, er wird wohl nicht hochmütig ? Er beruhigt sie routiniert. Zum Glück, erklärt er ihr, ist seine Demut die größte im ganzen Land , die Formulierung, die er fast bei Strindberg ausgeliehen hat und liebt. Er ermannt sich auch kräftig.
Aber offenbar ist er geborener Dramatiker. Unmöglich, davor wegzulaufen, sagt er sich. Woher kommt es? Lässt sich nicht ausmachen. Vom Fuchsfarmer, der Mutter, der Kritzlerin oder von ihm selbst?
Ein Rätsel. Die Dialoge waren wie von selbst geflossen.
Romane wie Die Ausgelieferten waren eine Sache. Aber lebendige sprechende Gestalten auf einer Bühne? Die Begrenzungen enorm, aber verlockend: nicht fünfhundert Seiten zur Verfügung zu haben, um alles zu gestalten, sondern nur Menschen auf einer Bühne, für zwei Stunden, und alles soll durch den Mund herauskommen?
Er hat ja de facto seit 1966 Theaterrezensionen im Expressen geschrieben, von Bo Strömstedt angestellt. Als eine Art Erstrezensent hat er die meisten Theater des Landes heimgesucht. Doch davor bestand seine Theatererfahrung aus nicht mehr als vier Stücken, die er gesehen hatte.
Das erste Stück sieht er als Vierzehnjähriger, als er sich, dem Verbot der Mutter trotzend, ins Bureå Folkets Hus geschlichen hat, zu einem Agatha-Christie-Stück mit der Würstchenlegende Bullen Berglund in der Hauptrolle. Es endet damit, dass ein Schuss abgefeuert wird. Das atemlose und schreckhafte Bureå-Publikum springt auf, einige schreien. Aufgewühlt und perplex verlässt er Folkets Hus; dies war ja Wirklichkeit in einer Form, wie die Dialoge, die er geschrieben und im Heer der Hoffnung oder beim Abschluss der Sonntagsschule vorgetragen hat, sie nie würden nachahmen können.
Besonders der Schuss. Er versteht, dass Theater berühren soll.
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Später sieht er drei Stücke im Uppsala Stadsteater. Danach Theaterrezensent.
Unerschrocken verbirgt er seine Unkenntnis der Kodes beim Rezensieren durch scharfe und ausgefeilte Formulierungen, als bespreche er Bücher. Mit einem angestrengten inneren Lächeln verteidigt er sich gegen sein eigenes schlechtes Gewissen. Er hat immerhin eine literaturwissenschaftliche Lizentiatabhandlung verfasst. Das dürfte reichen. Text wie Text. Schauspieler, diese auf der Bühne herumflatternden Gestalten, sind im Grunde ein nebensächliches Problem, Beifahrer; sie werden mit knappen, aber aufmunternden Worten gegen Ende abgefertigt. ›In der Rolle des Hamlet zeigte Karl Petterson eine gediegene Leistung.‹
Wieder der sachliche Ton des Journalisten Mr. Kuri im Norran über entscheidende Spiele in der Küstenliga Nord.
Was weiß er vom Theater? Und was weiß er von Schauspielern?
Er ist einundvierzig Jahre alt, und er tritt in eine neue Welt ein. Er wird verzaubert , ein Wort, das er allzu oft benutzt. Romane zu schreiben heißt, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen. Theater dagegen bedeutet Leben und Menschen, und aus der Kälte zu kommen. Plötzlich schreibt er nur noch Theaterstücke, Die Nacht der Tribaden , Aus dem Leben der Regenwürmer , Verdunkelung , In der Stunde des Luchse s. Alles spielt. In dem Maße, in dem sich seine Stücke über Europas Theater verbreiten, gehen Einladungen ein, eine Woche lang den Proben beizuwohnen; in München oder Amsterdam oder Turin oder Warschau oder am Madeleine-Theater in Paris. Noch nicht Moskau, stellt er fest.
Die Tribaden werden übersetzt, aber vom Innenministerium gestoppt, das den russischen Theatern, die beantragt haben, das Stück spielen zu dürfen, eine glatte Absage erteilt. Es ist verwunderlich, weil das Stück ja kaum politisch kontrovers ist. Sein Agent bemüht sich, in Moskau bei dem verantwortlichen Beamten nachzufragen. Dieser erklärt, dass das Stück von zwei Frauen zu handeln scheine, die vielleicht lesbisch seien, das Stück sei folglich von keinerlei Interesse für ein sowjetisches Publikum, weil es hier keine lesbischen Frauen gibt . Der Agent versucht es mit Überredung: Aber das Stück wird doch im gesamten Ostblock gespielt, allein in Polen an sieben Theatern , woraufhin der Mann im Innenministerium eifrig einfällt Jaaaaa! Polen, das ist etwas ganz anderes, Sie kennen doch die Polen, da gibt es massenweise lesbische Frauen!
Es ist ein Lernprozess, er sieht das, was er schreibt, mit unterschiedlichen europäischen Sichtweisen auf dem Theater gestaltet, auf den gleichen Text angewendet. Die Einsamkeit des Romanschriftstellers
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