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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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verflogen. Er ist ein Handelsreisender, er reist in eigener Sache. In der ersten Probenwoche für die Tribaden im Dramaten sitzt er dabei, schweigend und verschüchtert, und versucht zu lernen. In einer Pause sieht er in Lena Nymans Rollenheft, dass sie alle seine Regieanweisungen, die psychologischen eingeschlossen, mit energischen schwarzen Strichen getilgt hat. Enttäuscht fragt er, warum. Sie antwortet erstaunt, Ja, aber ich will doch frei sein von dem, was du dir gedacht hast .
    So tritt er mit sehr kleinen Schritten in die Welt des Theaters ein.
    Er hatte sich immer vorgestellt, dass das, was er schrieb, nur seins war .
    Aber im Theater war nichts nur seins. Auf diese Art war alles im Theater weniger einsam, aber gleichzeitig schmerzvoller.
    Theater schreibt er vielleicht schon als Kind. Da ist es nur seins, weil es nie aufgeschrieben wird. Nicht einmal aufgezeichnet. Er könnte es Wirklichkeitsflucht nennen, und sich ein klein wenig schämen.
    Träume vielleicht?
    Es machte ja nichts, dass Freunde damals dünn gesät waren. Nur der Wald und die Karten und der Schnee und der Sternenhimmel und Blixt Gordon und der Reisegefährte. Da konnte er in Frieden Szenen spielen, ungestört. Die Kiefern konnten sich nicht einmischen. Unbekümmert verschob er die Gestalten in einer gigantischen Szenographie im Innern des nicht gefällten Waldes.
    Oft sind die Szenen aufwühlend, er kommt mit Tränen in den Augen aus dem Wald, die Mutter fragt mitfühlend, ob er gefallen sei und sich weh getan habe. Dann endet die Vorstellung abrupt, nichts von dem, was er fantasiert und gestaltet hat, bleibt zurück. Die Bühne leer. Unfug! Aber sehr bald Schauplatz des nächsten aufwühlenden Ereignisses: Normale Gestalten mit kleinen, stummen Mundbewegungen, aber groben Stimmen! Unsichtbar, außer für ihn! und sein immer heftigeres Atmen!
    Beim nächsten Mal ein glückliches Ende, und ein strahlendes und für die Mutter auch diesmal vollkommen unverständliches Lächeln.
    Aber er hat die totale Kontrolle.
    Jetzt schreibt er seine Szenen genau so. Als säße er im Wald. Aber dann plötzlich ein Punkt, wo alles anders wird. Hingeschrieben, eingereicht, die Rollen besetzt! Der Text wird mit Schauspielern bevölkert. Jetzt sind sie zusammen .
    Eigentlich hatte er immer davon geträumt. Jetzt wird es Wirklichkeit.
    Aber die Verdichtung durch lebende Menschen, die von der Bühne zu hören sind und deren nicht stumme Lippenbewegungen seine Worte aussprechen, ist nicht so leicht zu ertragen. Es gibt, erfährt er, eine eigentümliche Beziehung zwischen Autor, Text und Schauspieler, und er ist noch nicht richtig reif, damit umzugehen. Der, der geschrieben hat , gleicht einem aufgebrachten Ehemann, der einen Geschlechtsakt zwischen seiner Frau, dem Text, und einem fremden Schauspieler betrachtet.
    Und wer ist eigentlich der Regisseur? Ein Kurfürst, der das jus primae noctis beansprucht?
    Als Autor ist er einer, der einberufen wird.
    Er stellt fest, dass er nicht als der Meisteringenieur des Richtigen Tons betrachtet wird, sondern als jemand, der bestätigen soll, dass der Schauspieler diesen gefunden hat. Er ist ja, sagen sie, der erste, der den Text durchatmet hat. Durchatmet ist das richtige Wort. In seinem Kopf hat sich ja tatsächlich die erste Aufführung abgespielt. Er weiß nicht, ob sie ihn deswegen verabscheuen, fürchten oder bewundern. Auf jeden Fall lieben sie ihn, wenn er bereit ist, ihnen recht zu geben.
    Zwischen dem Autor und dem Schauspieler gibt es jedoch einen Interpreten, den Regisseur. Entsteht während der Proben ein Konflikt, ist dieser plötzlich der Hauptfeind des Schauspielers. In den Streit greift dann der Handelsreisende in eigener Sache , Enquist, als Alliierter ein. Vielleicht besitzt er die Antwort darauf, wie diese mit Worten niedergeschriebenen Gestalten eigentlich denken. Er hat ja die erste, totenstille Vorstellung mitangehört.
    Ist nicht diese Vorstellung die eigentliche ?
    Der Kampf gilt im Grunde dem Wort eigentlich . Als er Romane schrieb, gab es keinen Zweifel. Er besaß das Alleinrecht auf dieses Eigentliche.
    Jetzt nicht mehr.
    Mit der Zeit lernt er, seinen Theatersolipsismus zu bekämpfen: die Vorstellung, dass die Welt aufhört zu existieren, wenn er die Augen schließt.
    In Bratislava sieht er eine erschütternde Vorstellung von Aus dem Leben der Regenwürmer , die ihn plötzlich begreifen lässt, wer Frau Heiberg ist. Es ist nicht das einzige Mal. Er lernt auch, Fehler zu vermeiden.
    Der übliche

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