Ein anderes Leben

anderen Übersetzern in der Welt erklären soll, von denen viele bereits die Arbeit beendet haben.
    Nach zehn langen Telefonaten über den Atlantik gibt seine Agentin nach, doch mit Wut im Bauch.
    Naiv wie er ist, glaubt er auch, dass das wunderbare Ensemble vom McCarter Theater, das er ein paar Wochen lang bei den Proben beobachtet hat, am Broadway eine neue Chance bekommt. Völlig undenkbar, jetzt sind Stars gefragt.
    Er verfolgt in diesem Winter in Uppsala, aus der Distanz, die Jagd nach Stars. Jack Nicholson wäre interessiert, will aber nicht mehr Theater spielen, es heißt, dass er Filme vorzieht – da kann man abends betrunken sein; das geht ja im Theater nicht. Er versteht den Standpunkt und sympathisiert damit, aber es ist schade um so seltene Tiere. Der Regisseur Michael Kahn fährt nach London, um Vanessa Redgrave zu überreden, die Rolle der Siri von Essen zu spielen, und schreibt in seinem Bericht an ihn: ›Sie ist entzückt von dem Stück, aber ganz damit beschäftigt, die britische Regierung zu stürzen und die trotzkistische Bewegung in England zu führen. Sie hat mich jedoch wissen lassen, dass sie, sobald ihr dies gelungen ist, oder falls ein Militärputsch in England stattfindet, in Erwägung ziehen wird, an den Broadway zurückzukehren. Eine wahrhaft bemerkenswerte Frau!‹Glenda Jackson möchte, kann aber nicht, Maria Schell möchte, doch sie trifft bei den Produzenten auf Widerstand. Es ist ein Hauen und Stechen. Auch Marthe Keller ist ausgebucht. Dennoch ist die Londonreise ein Erfolg, weil die große englische Schauspielerin Eileen Atkins eingefangen wird und unterschreibt. Die kleine Rolle des Viggo wird mit dem sehr beliebten Fernsehstar Werner Klemperer besetzt, der unter anderem durch die Rolle als einfältiger Oberst Klink in der Fernsehserie ›Hogan’s Heroes‹ bekannt ist; ein bemerkenswerter, schüchterner und ungemein lustiger Schauspieler, der sich zeitweise damit durchgebracht hat, in amerikanischen Filmen über böse Krauts mit deutschem Akzent zu sprechen, und der ein Sohn des Dirigenten Otto Klemperer ist.
    Nach und nach klärt sich die Situation. Zwei große Bergman-Schauspieler , er wird sich bald an das Etikett gewöhnen, also Max von Sydow und Bibi Andersson, werden die Internationalität des Ensembles vollenden, in dem Klemperer der einzige Amerikaner ist; dies kann mit der Zeit eine gewisse gewerkschaftliche Bedeutung bekommen. Einige der Finanziers wollen den Titel ändern, ›The Night of the Tribades‹ klingt allzu sehr nach ›The Day of the Triffids‹, einem Gruselfilm aus den fünfziger Jahren, als die Welt in Gefahr war, von menschenfressenden Gurken erobert zu werden, ungefähr so; er protestiert, der Titel bleibt. Bei genauerer Lektüre zeigt es sich, dass der Vertrag auch einen Passus enthält, der dem Autor das Recht einräumt, sechs Wochen lang den Proben beizuwohnen, großzügig Spesen zu machen sowie in einer Luxussuite im Wyndham Hotel in der 52. Straße zu wohnen.
    Er widmet seiner Agentin Bridget Aschenberg im ICM einen Moment der Dankbarkeit und reist.
    Konnte PW reisen, kann er es auch.

An den Tagen vor der Leseprobe trifft er den Produzenten und einige – etwa zehn – der Finanziers. Es ist ein festlicher Abend. Er bekommt eine schwache Ahnung dessen, was bevorsteht, und von der Neuen Welt.
    Die Finanziers sind auch Anteilseigner an Annie . Dieses Musical wird man jetzt sehen, als Aufwärmung für die Drinks des Abends. Für zwei der Finanziers ist Annie ihr Piece of Property . Es ist der neue Musicalerfolg am Broadway über ein Mädchen, das seinen Hund verloren hat, und das Publikum ist gebannt. Der Höhepunkt ist, als der Hund von links auf die Bühne kommt, finster und sorgenvoll ins Publikum blickt, zu einer Stelle auf der Bühne geht, wo er seiner Sehnsucht nach Annie Ausdruck geben wird (er ist vielleicht trainiert, dort ein Stück Wurst zu bekommen), sich setzt, keine Annie links, keine rechts, aufsteht und hinausgeht. Jubel bricht los, es ist atemberaubend, Theater in höchster Vollendung.
    Annie ist ein unglaubliches Musical, sagt einer der Finanziers in der Pause, haben Sie den Hund gesehen?
    Der neugewonnene amerikanische Freund und Teilhaber an Enquist analysiert die Struktur dieses Erfolgs. Es kommen kleine Kinder vor, die tanzen können. Es kommt ein böses Weib mit versöhnlichen Zügen vor. Sie ist betrunken und lustig, beides ist gleich wichtig. Und ein Hund. Und eine Liebeserklärung an New York, die faszinierendste