Ein anderes Leben
wachsender Begeisterung erfährt er, dass sein Vertrag eine sogenannte Staffel vorsieht. Sie beginnt bei 5 %; nachdem eine gewisse Summe eingespielt ist, steigt sie auf 7,5 %, um für den Fall eines Broadway-Erfolgs bei 10 % zu enden. Das würde mindestens! fünftausend Dollar in der Woche bedeuten, eine für ihn zu dieser Zeit um 1977 atemberaubende Summe. Burry lächelt grimmig und klärt ihn darüber auf, dass der Autoranteil aufgeteilt wird. Von den fünf Grundprozenten schöpft zuerst die amerikanische Agentur ein Zehntel von der Spitze ab, danach erhält der Übersetzer vom Rest 40 %. Bleiben 2,7 %. Die schwedische Theateragentur nimmt anschließend ihre 20 %. Bleiben 2,16 %.
Er sieht die Produzentin abwartend an; es ist die Zeit, als Astrid Lindgren ihren Feldzug gegen die Finanzbehörde begonnen hat, und ihm liegt es auf der Zunge zu sagen: Und Sträng streicht den Rest ein . Aber er besinnt sich, ein sozialdemokratischer Schlagbaum geht in seinem Inneren nieder, und er nickt stumm und zufrieden seiner Freundin über den Mittagstisch im Sardi’s zu. PO, my friend , sagt sie freundlich, Fazit ist, dass du verdammt reich wirst, wenn es gut läuft und das Stück mehrere Jahre am Broadway gespielt wird und Hollywood einen Film daraus macht und du als schweinemäßig gut bezahlter Drehbuchschreiber angestellt wirst, wie Tennessee Williams, und dann wirst du ein reicher und vermutlich schlechterer Mensch und säufst dich tot. Oder es geht den Bach hinunter, und dann gehst du wieder zurück als der, der du warst.
Genau das ist die Frage, denkt er. Nicht, wie es geht. Aber wer man war und wer man wird.
Es fängt damit an, dass sie zwei Tage lang, insgesamt zweiundzwanzig Stunden, Wort für Wort die Übersetzung und sprachliche Nuancen durchgehen.
Max ist ein Sprachgenie und saugt nachdenklich an jedem Tonfall, zu aller Erschöpfung. Bei der Leseprobe kommt der Gewerkschaftsvertreter und geht die Richtlinien durch, es sind eisenhart strikte Regeln, und Max und Bibi und Eileen Atkins, die Ausländer und eigentlich nicht betroffen sind, hören gelangweilt zu. Der Probenraum ist groß und die Bühne mit Klebstreifen auf dem Fußboden markiert, alles ist völlig normal wie überall in einem europäischen Probenraum. An die zehn kleinere Produzenten summen während der Leseprobe wie Hummeln respektvoll und neugierig an den Wänden. Burry Fredrik ist die Große und weiß ihr Revier als Hauptproduzentin zu verteidigen und setzt sich nicht zu ihnen.
Würde ihr nie einfallen. Kaffeemaschine in der Ecke.
Das einzig ganz und gar Unschwedische sind die Probenzeiten, sie beginnen um halb elf und enden um halb sieben am Abend, sechs Tage die Woche. Kurze Mittagspause. Sie essen oft gemeinsam im Sardi’s.
Und dann läuft die Produktion an. Marie, Marie, jetzt geht es los . Wie es im Wüsten Land hieß.
Eines Abends sieht er A Chorus Line , ein Musical über die Verlierer. Keine Wirklichkeit kennt der Broadway besser als die der Verlierer.
Die keinen Platz im Ballett bekommen. Die ausgemustert werden.
Jeden Morgen um halb elf kann er selbst die Chorus Line der Wirklichkeit in den Gängen des Minskoff Theaters, in dem die Tribaden geprobt werden, beobachten. Das Gebäude ist riesig und beherbergt zahlreiche kleine Probenräume, und hier finden ständig Proben statt, in denen junge Schauspieler getestet werden, sei es für eine Rolle im off oder off off , sei es, um eine Chance zu bekommen, in der West Side Story zu tanzen, die wiederaufgenommen werden soll.
Er spricht oft mit ihnen. Ihr Warten ist grenzenlos – wie ihre Hoffnung. Die gewerkschaftlichen Bestimmungen schreiben vor, dass die Proben für jedermann offen sein sollen, doch in Wirklichkeit sind die Begabungen schon vorab handverlesen. Die Proben werden zu grausamen Formalitäten, und die Chancen sind gleich null. Er mag es, sich mit ihnen zu unterhalten. Einmal wird er mit einem Freund zum Actors’ Studio eingeladen und findet die Offenheit und die Herzlichkeit und die Theaterintelligenz dort fantastisch.
Die in den Gängen des Minskoff Wartenden sind dagegen nicht bis zum Actors’ Studio vorgedrungen.
Eines Nachmittags steht eine junge Frau verzweifelt weinend im Korridor vor Probenraum 4, er spricht sie an, und sie sagt mit bebender Stimme Gehörst du zu denen da drinnen mit den Tribaden ? Er nickt. Es ist schwedisch, nicht wahr? Haben sie nicht auch Bergman-Schauspieler dabei? Ich liebe Das siebente Siegel, sagt sie dann mit völlig sachlicher
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