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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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sagen.
    Und Schwester Ratched hatte sie für ihre Ehrlichkeit gelobt, und der Setzer aus Södertälje war ganz weiß im Gesicht gewesen und hatte nichts anderes sagen dürfen als das Obligatorische am Schluss, dass er dankbar sei für ihre Aufrichtigkeit und dass dies ihm sicher helfen werde, von seiner chemischen Vergiftung loszukommen.
    Das war am Vormittag.
    Dann sah er die beiden im Korridor auf und ab wandern, mehrere Stunden lang, zwei sehr klein gewachsene Figuren, sie gingen dicht nebeneinander auf und ab und schwiegen, und dann musste sie wohl nach Hause fahren.
    Am späten Abend ging er in den Essraum, und da saß Bengt und starrte in die leere Kaffeetasse und tat sonst nichts. Er schien vollkommen untätig zu sein. Und was gab es zu sagen. Aber gerade als er selbst gehen wollte, hörte er den anderen etwas murmeln, oder singen, es war, als wiederhole er ständig einen einzigen Satz, er blieb stehen und hörte etwas, das ihm fast bekannt vorkam.
    Dieselbe Phrase. Ein ums andere Mal.
    Fliegende Bekassinen … suchen Ruhe … auf weichen Graspolstern.
    Es klang fast schön. Er setzte sich ihm gegenüber, aber es ging immer so weiter, ein ums andere Mal. Fliegende Bekassinen … suchen Ruhe … auf weichen Graspolstern .
    »Schön«, hatte er da zu Bengt gesagt. »Ich glaube, ich kenne die Zeile. Ist das Harry Martinson?«
    Bengt blickte auf, als hätte er erst jetzt bemerkt, dass jemand im Raum war, und sagte Nein, ich war Setzer, und das ist ein Merkspruch, wie man die Buchstaben im Setzkasten ordnet.
    Und dann wiederholte er, wie zur Erklärung, die Strophe, die kein Gedicht war, die aber vielleicht als ein solches dienen konnte, im Notfall, oder eher in der äußersten Not:
    Fliegende Bekassinen
    suchen Ruhe
    auf weichen Graspolstern .

Entweder ist es Verweigerung, oder Verteidigung.
    Er weiß es selbst nicht, fragt sich aber. Es ist, als gebe es einen kleinen kleinen Kern in seinem Inneren, der aus einer Integrität bestand, die er in fünfundfünfzig Jahren angesammelt hat, eine Art Ich , das sich nicht zerstören lassen will und das jetzt verzweifelt gegen jene kämpft, die sagen, dass sie ihm helfen wollen und sein Leben umlenken und ihn verändern, zuerst zerstören und dann zurechtweisen , auf den guten Weg, auf dem er fortan wandern soll, netter und fügsamer und vor allem besser, und nüchtern, auf jeden Fall nicht als der, der er gewesen ist.
    Ein anderes Leben. Und ein anderer Mensch. Mit demselben Namen. Vielleicht war es der Totjunge, den Mama zur Welt brachte, nachdem sie sie aus dem Obergeschoss hinuntergetragen hatten, un de Åke Sehlstedt unten anne Füße getraang hatt’, vielleicht sollte er jetzt in ihn, den frisch Geborenen eintreten. Eindringen. Auf dem zurechtgewiesenen Weg. Vielleicht war es dieser Totjunge, der gute und liebe, der nicht soff, in den er jetzt verwandelt werden sollte. Doch zuerst musste das, was er selbst war, zerstört werden.
    Aber wie er kämpft, um das, was er selbst ist, zu verteidigen.
    Später beginnt er einen bewundernswerten Kampf mit geringem Erfolg, um die eigentlich allzu seltene Alkoholikerbehandlung, die in der Abteilung M 87 am Krankenhaus in Huddinge betrieben wird, zu zermalmen.
    Die einzige im öffentlichen Gesundheitswesen in Schweden. Er hätte sich wichtigere Feinde suchen können, aber er ist jetzt sehr entschlossen und keineswegs ungefährlich. Die Verletzungen der Privatsphäre sind unübersehbar; das Gesetz (RF 1979:821) legt den Schutz für die Privatsphäre des einzelnen fest, und er findet zu seinem Entzücken, dass in Kapitel 5, 3a des Strafgesetzbuchs vorgeschrieben ist: ›wer über private Angelegenheiten eines andern Auskünfte erteilt, die geeignet sind, Schaden oder Leiden zu verursachen, wird wegen Verletzung der Privatsphäre zu einer Geldbuße oder zu einer Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten verurteilt‹.
    Der Internierte war stark betrunken eingeliefert worden und hatte ein Papier unterschrieben. Dies legitimierte die Leitung jetzt, das die Integrität verletzende Frageformular an Bekannte und Unbekannte zu verschicken. Lone hatte auch eins erhalten, sich aber geweigert, es auszufüllen, und als er das hörte, hätte er fast geflennt, aber es ging gerade noch gut.
    Die Antworten wurden anschließend benutzt und vorgelesen; das waren sonnenklare Fälle von Verletzung der Privatsphäre. Er ist noch rasend, ohne einzusehen, was er da tut.
    Diese Kraft! Und wofür?
    Er verteidigt sich. Das tut er. Immer desperater, am Ende mit

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