Ein Antrag nach Mitternacht
Ausdruck von besonderem Interesse, da sie sich unaufgefordert ausgiebig über den Stammbaum der Ashenhams ausließ, die allem Anschein nach mit allen wichtigen Familien in England über irgendwelche Umwege verwandt waren.
Francesca setzte die von Kindheit an geschulte höfliche Miene auf, die den Eindruck erweckte, als ob sie aufmerksam zuhörte. In Gedanken war sie längst bei ihren Schuhen, und sie überlegte, welches Paar wohl am besten zu dem meeresgrünen Kleid aus Voile und Seide passte, das sie vergangene Woche im Geschäft von Mademoiselle du Plessis gesehen hatte. Von der Schneiderin wusste sie, dass es auf einen Käufer wartete, da die Auftraggeberin die Bezahlung der letzten Rate zu lange hinausgezögert hatte. Mademoiselle du Plessis zweifelte ernsthaft daran, dass die Käuferin sich je wieder blicken lassen würde, und sie war einverstanden, Francesca das Kleid für ein Drittel des eigentlichen Preises zu überlassen, wenn die Frau ihre Schulden nicht innerhalb der nächsten Woche beglich.
Zwar war das Kleid zu lang, aber es war eine Kleinigkeit für Maisie, dem Problem abzuhelfen, und Francesca wusste, sie benötigte dringend ein neues Kleid. Man konnte ein altes Gewand nicht unendlich oft überarbeiten, um es neu aussehen zu lassen, und es war auch nicht ratsam, sich auf zu vielen Bällen im selben Kleid zu zeigen. Stolz war eine Sünde, das war Francesca auch klar, dennoch durfte sie die Leute nicht erkennen lassen, wie dicht sie seit langer Zeit am Rande des Ruins entlangschlitterte.
Das Problem waren allerdings die Schuhe, die sie dazu tragen wollte. Sosehr sie sich auch vorsah, waren die dünnen Sohlen ihrer Stiefeletten und Pumps unglaublich schnell abgelaufen, und sie waren nicht von der Art, bei der man normalerweise in irgendeiner Art sparen konnte. Also gab sie sich alle Mühe, sich bei ihrer Fußbekleidung auf schlichte Farben zu beschränken, die zu verschiedenen Kleidern passte. Wirklich fantastisch wären silberne Sandalen, aber die würden eine viel zu extravagante Anschaffung darstellen. Andererseits … sie hatte etliche Kleider, zu denen sie diese Riemchenschuhe ebenfalls tragen konnte.
Vielleicht sollte sie auf dem Speicher noch einmal die Truhen durchsuchen, ob sich dort nicht doch irgendwo eine bislang übersehene kleine Kostbarkeit fand, die sie zu Geld machen konnte.
„Lady Haughston?“
Francesca sah zu Lady Althea und wusste, dass sie sich von ihren Überlegungen völlig hatte mitreißen lassen. „Wie bitte? Oh, verzeihen Sie, ich musste gerade an etwas denken.“
„Wir sind da“, sagte Althea ein wenig verärgert.
„Ja, tatsächlich.“ Francesca schaute aus dem Fenster und entdeckte den vertrauten Anblick des Royal Theater. Vermutlich hatte sie Althea vor den Kopf gestoßen, als sie so in ihre Gedanken versunken war. Allerdings sollte die junge Frau dringend lernen, dass man andere Leute kaum für sich einnehmen konnte, indem man sich ausführlich dem eigenen Stammbaum mit all seinen Verästelungen widmete. Francesca musste sich dringend etwas überlegen, wie sie Althea in die Kunst der Konversation einführen konnte, wenn die eine Chance haben sollte, Rochfords Gunst zu gewinnen. Natürlich vorausgesetzt, sie – Francesca – entschied überhaupt, dass Lady Althea seine Gunst gewinnen sollte. Genau daran hegte sie aber bereits erste Zweifel.
Rochford stieg mit Eifer aus der Kutsche aus, damit er den beiden Frauen nach draußen helfen konnte. Auf dem Weg zum Theatereingang gelang es Francesca, ein paar Schritte zurückzubleiben, damit Rochford allein neben Althea gehen konnte. Immerhin musste sie ihm die Gelegenheit geben, die junge Frau näher kennenzulernen. Vielleicht war Althea ja nur ein wenig nervös, schließlich hatte Rochford auf manche Frau diese Wirkung. Und wer nervös war, der plapperte oft drauflos, ohne sich zu überlegen, ob sich irgendjemand dafür interessierte.
Francesca musterte die beiden, wie sie vor ihr her zum Theater gingen. Rochford hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, um Althea zuzuhören. Vielleicht hatte er sich ja an ihrem Gesprächsthema auf der Fahrt hierher gar nicht gestört, immerhin kannte Francesca so manchen Mann, der mit der dümmsten Ehefrau, die man sich nur vorstellen konnte, vollauf zufrieden war. Und für Althea sprach, dass sie wirklich attraktiv war.
Ihr kam in den Sinn, dass sie während der Pause jemanden in einer der Logen besuchen sollte. Auf diese Weise konnten die beiden allein sein, ohne dass ihr Anstand
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