Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Ränder der Klobrillen zu schauen. Da sei, so hört man dann, während sie an einem ökologisch wertvollen und nahrhaften Reformhauskeks knabbert, noch die Kacke diverser Kinder dran.
Super, Mutti! Immer schön nach unten treten. Wenn ich jetzt das Maul aufmachen und dir mal meine Meinung sagen würde, fliege ich hier achtkantig raus und kann mir woanders einen Spitzenjob für sieben Mark die Stunde suchen, dachte ich, während sie ihr Junges in eine Kutsche aus Leichtmetall und Gold, in eine Decke aus Kükendaunen und Lammvlies packt, mich noch einmal mit einem Kinderschänderblick bedenkt und feierlich in Richtung Klatsch-Café von dannen zieht, um den anderen Müttern von ihrer Großtat zu berichten, wie sie die Putzkraft gerade zusammengeschissen hat.
Voller Verzweiflung habe ich mich dann in eine berufsvorbereitende Maßnahme eingliedern lassen, um mich im zweitklassigen Hotel am Kurfürstendamm zum erstklassigen Hotelfachmann ausbilden zu lassen. Dort musste ich ein halbes Jahr zur Probe arbeiten, als Küchenhilfe, Zimmermädchen, Wäschehilfe, Tellerwäscher, Servicehilfe. Das alles unter den wachsamen Augen des Arbeitsamtes. Es lief alles – sagen wir mal – äußerst suboptimal. Irgendwie hatte ich mich in eine Situation gebracht, die man nicht gerade als Pole-Position bezeichnen konnte.
In mir reifte langsam der Entschluss, Künstler zu werden. Wenn man eh nix zu fressen hat, dann hat man doch schon die Hälfte der Kriterien erfüllt, dachte ich mir.
Ich kann mit Recht behaupten, dass ich damals, um meinen achtzehnten Geburtstag herum, begonnen habe, alle Türen hinter mir zu verschließen. Im Nachhinein würde ich sagen, ich habe aus Trotzigkeit richtig gehandelt. Wenn es kein Zurück mehr gibt, dann geht es nur noch vorwärts. In den Himmel oder in die Hölle. Nicht wie bei jemandem aus Berlin-Grunewald, der immer macht, was Papa sagt. Und wo Papa immer alles zahlt.
Der einzige Weg, den ich für mich sah, war die Bühne. Deswegen habe ich mir in der Buchhandlung das Buch Alles Theater gekauft. Es beschreibt die zehn größten Vorurteile, die man als angehender Schauspieler von diesem Beruf haben könnte.
An einer privaten Schauspielschule in Berlin gestattete man mir für einen Tag, dem Unterricht beizuwohnen. An jenem Tag stand für alle Schüler die Hausaufgabenkontrolle an. Die junge Schauspielschülerin Dörthe trat in die Mitte des Kreises ihrer Mitschüler und spielte mit totaler Hingabe eine Toastscheibe, die gerade den Toaster verlässt. Wegen zu lauten Lachens endete meine Hospitanz früher als erwartet. Ich wurde rausgeschmissen. Und, weil der Unterricht nicht mit dem übereinstimmte, was ich mir so vorgestellt hatte, stand fest: Schauspieler werde ich schon mal nicht.
Als im April 1996 dann also der erste Musterungstermin anstand, arbeitete ich gerade als Tellerwäscher in der Dialyse am Nordgraben in Berlin. Mein Job war es, die Teller erst mit Essen zu füllen, dann zu servieren, dann abzuräumen und dann zu putzen.
Ganz schlimm war ein Abend im Dezember 1996, als ich mit meiner damaligen Freundin einen Spaziergang über den weihnachtlich illuminierten Kurfürstendamm machte. An einem Schaufenster blieb sie stehen und betrachtete den Schmuck. Ein Ring hatte es ihr besonders angetan. Den hätte sie gerne, sagte sie mir. Erst durch Blicke und dann, als die nichts halfen, auch in Worten. Der Ring kostete damals tausendfünfhundert Mark. Ich sehe das Preisschild heute noch gestochen scharf vor meinen Augen. Tausendfünfhundert Mark. Tausendfünfhundert Mark oder fünfzehntausend Mark oder hundertfünfzigtausend Mark waren für mich das Gleiche. Ich hatte alles drei nicht, und so, wie es aussah, würde ich es auch nie haben. Ich habe mir damals ausgerechnet, wie lange ich weder essen, trinken und mieten dürfte, um ihr den Ring schenken zu können. Sehr. Lange.
Die Krone setzte sie dem Ganzen auf, als sie mich mitleidig ansah und zu mir sagte: Du stellst doch nichts dar.
Kurz darauf zu Silvester hat sie sich dann vor meinen Augen mit der Zunge in einen Gas-Wasser-Installateur verhakt und sich ihm gegenüber generell sehr paarungsbereit gezeigt. Keine Ahnung, ob er ihr den Ring jemals gekauft hat.
Zurück zu meinem Job in der Dialyse. Eigentlich ein klassischer Job für einen Zivildienstleistenden, den ich da auf Fünfhundertachtzig-Mark-Basis gemacht habe. Da ich schon fast ein Jahr lang dabei war, habe ich keinen Sinn darin gesehen, meinen Wehrdienst zu verweigern, um dann
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