Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
zwar nicht gemein, aber der Situation angemessen ernst. Hatte sie es doch mit einem Fahnenflüchtigen, einem Republikflüchtling, zu tun.
Ich hatte Angst, aber ich wusste, ich muss mich dieser Situation jetzt stellen.
Mutti sah mir tief in die Augen und dann in ihre Unterlagen.
Sie wissen, dass die Bundeswehr Sie sucht?
Was sollte ich sagen? Bundeswehr? Was ist das denn?
Das erschien mir nicht die richtige Taktik.
Wieso?, fragte ich kleinlaut.
Wieso? Weil Sie seit zwei Jahren keine Post mehr beantwortet haben!
Schuldbewusst sah ich zu Boden. Mutti sah wieder in ihre Unterlagen.
Ich gebe zu, da ist mir ein bisschen schlecht geworden. Ich sah mich schon im Gefängnis meine Schulden beim Staat abarbeiten. Tüten kleben oder Räuchermännchen aus dem Erzgebirge bemalen.
Aber egal, was kommen sollte, ich war bereit, mich der Situation wie ein Mann zu stellen.
Mutti war noch dabei zu rechnen. Mir wurde ganz anders.
Nun sah sie mir ernst in die Augen.
Stille. Und dann:
Alles in allem kostet Sie der Spaß vierzig Mark. Haben Sie es passend oder zahlen Sie per Überweisung?
Den Inhalt meines Portemonnaies kannte ich ganz genau. Vierzig Mark und achtzig Pfennige.
Also habe ich Mutti angestrahlt, meine Schuld in bar beglichen und bekam eine Meldebestätigung ausgehändigt und einen vorläufigen Personalausweis. Endlich war ich wieder ein freier Bürger mit allen Rechten und Pflichten. Und ich sah es als mein gutes Recht an, mir für die restlichen achtzig Pfennig ein Buttercroissant zu kaufen und es auf der Stelle zu verschlingen.
Die Pflichten holten mich allerdings zwei Wochen später wieder ein. Die Bundeswehr schickte nun wieder neue Einberufungsbescheide.
Den Rest will ich kurz halten. Juppi, mein alter Kumpel und damaliger Mentor aus der UFA -Fabrik in Berlin, half mir damals, 1999, beim Schriftverkehr in Sachen Bundeswehr. Die UFA -Fabrik ist ein vielfältiges Kulturzentrum. Dort leben viele Leute, die dieses Gelände vor Jahrzehnten friedlich besetzt haben, in einer Art Kommune. Juppi händigte mir freundlicherweise ein Arbeitszeugnis aus, auf dem meine aktuellen Engagements bei ihm aufgelistet waren. In diesem Zeugnis wurde noch mal bescheinigt, dass ich mir gerade im Kinderzirkus der UFA -Fabrik und im hauseigenen Varieté eine eigene Existenz aufbaute. Zusätzlich bekam ich noch ein Zertifikat mit einem Stempel, der einen Clown beim Jonglieren von drei Sternen zeigte. Ich war nun qua Urkunde ein lizenzierter Zirkusclown. Mit diesem Zeugnis und einem Flyer meiner damaligen Show Ausländer rein! ging ich dann 1999 zum Termin mit der Einberufungskommission der Bundeswehr. Meinem Antrag auf totale Verweigerung wurde schlussendlich im Oktober 1999 unwiderrufbar stattgegeben.
Alles andere wäre auch eine Katastrophe gewesen.
Denn gerade zu dieser Zeit fing ich an, mir ein kleines bisschen Hoffnung zu machen. Juppi von der UFA -Fabrik und Daniela Schäfer aus dem Scheinbar Varieté waren damals die einzigen, die an mich geglaubt haben. Sie gaben mir immer das Gefühl, wenn ich jetzt dranbleibe, kann da etwas draus werden. Das half mir damals sehr. Dies war also der Beginn meiner Karriere als Komiker. Und genau an diesem Punkt funkte mir die Bundeswehr dazwischen. Der Hass auf das Schweinesystem, wie ich es damals nannte, war riesengroß.
Umso verwunderlicher ist die Tatsache, dass ich nun knapp vierzehn Jahre später als Gast bei derselben Bundeswehr gelandet bin.
Die Zeiten haben sich geändert. Hätte ich vor vierzehn Jahren ein Buch über die Bundeswehr schreiben sollen, wäre es schon nach einem einzigen Satz zu Ende gewesen: Die Bundeswehr ist Scheiße! Punkt!
Ich bin heute noch gegen Krieg, aber ich habe gelernt, dass man mit einer ablehnenden Haltung zwar Stimmung machen kann (und gerade bei diesem Thema immer auf Menschen stoßen wird, die einem dafür Applaus schenken werden), aber man verbaut sich durch diese Position auch jede Möglichkeit, sich in das Gegenüber hineinzudenken.
Ich bin zwar nicht deiner Meinung, aber erzähl mir mal was aus deiner Welt, denn ich verstehe sie noch nicht.
Dass Krieg unmenschlicher Schwachsinn ist, wissen wir alle. Aber warum wird er dann zum Beispiel in Afghanistan seit dreißig Jahren geführt?
Deswegen sind wir hier. Um uns vor Ort ein Bild zu machen. Hier in Afghanistan wird einem erst die Dimension klar. Soldaten haben hier bei diesem Thema nichts zu sagen. Ich könnte meinetwegen ganz nach Afghanistan ziehen und jeden Tag mit den Soldaten
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