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Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Titel: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Krömer
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Zivildienst zu leisten. Und an die Waffe wollte ich sowieso nicht. So viel stand fest.

    Was sollte ich machen, perspektivlos und ständig pleite?
    Auf einer Skala von null bis hundert war ich schon mindestens bei drei, und jetzt sollte ich auf null zurück?
    Ich hatte zu der Zeit ein paar junge Punkfreunde kennengelernt. Die Jungs haben mich dann an ein paar Experten und Anwälte in Sachen Totalverweigerung verwiesen.
    Ist doch alles kein Problem, war deren Meinung. Geh zur Musterung, dann haste erst mal Ruhe. Dann kommt nach Monaten der zweite Brief, rufste an und sagst, du musst dringend nach Bremerhaven zum achtzigsten Geburtstag von Oma Inge. Das darfste. Dann haste wieder Monate Zeit. Dann kommt der nächste Brief. Dann rufste an und sagst, Oma Inge ist gestorben, und du musst wieder nach Bremerhaven, diesmal zur Beerdigung. Dann haste wieder Monate Zeit. Und so geht das weiter und weiter! Haste ’ne Lehrstelle, haste drei Jahre Zeit. Haste einen Studienplatz, dann biste fast raus.
    Ich hatte beides nicht. Nur meinen Tellerwäscherjob. Ich habe aber trotzdem erst mal alles so gemacht, wie die Jungs es mir geraten haben.
    Zu dieser Zeit musste ich aus Geldnot des Öfteren meinen Wohnsitz wechseln. Dies tat ich stets, ohne mich umzumelden. Mein Pass war noch gültig, aber die Adresse stimmte nicht mehr. Und irgendwann haben mich somit auch keine Briefe des Kreiswehrersatzamtes mehr erreicht. Ich war untergetaucht.
    Unter anderem lebte ich damals in Schöneberg in einer Wohngemeinschaft und bin dort oft die Monumentenstraße entlanggelaufen. Dort befindet sich bis heute das Scheinbar Varieté im Erdgeschoss.
    Ich erfuhr, dass es dort eine Art offene Bühne gab, auf der jeder auftreten durfte, der sich traute. Ich war mir meines Mutes sicher.
    Im Ernst, was hatte ich schon zu verlieren? Mein Schwämmchen zum Tellerputzen? Das Geräusch der Dialysemaschinen würde ich nicht vermissen.
    Irgendwann trat ich nicht nur bei der offenen Bühne, sondern auch richtig mit Ankündigung und meinem Namen im Programm auf.
    Da habe ich dann immer nachmittags angerufen und gefragt, wie viele Karten schon verkauft sind. Mir wurde versichert, der Vorverkauf liefe gut an.
    Wie viele?, wollte ich konkret wissen.
    Fünf, aber da kommt sicherlich noch Laufkundschaft.
    Und dann habe ich vor den Auftritten immer den Zuschauerraum darauf hin beobachtet, ob auch alle fünf gekommen sind. Manchmal waren es nur vier, manchmal sind aber noch welche von draußen reingespült worden, und wir waren zu siebt. Im besten Fall wurde sogar gelacht.

    Immer, wenn ich durch die Monumentenstraße musste, bin ich auf Höhe der Scheinbar langsamer gelaufen. So, als ob ich damit gerechnet hätte, dass da gleich Mister Talentescout aus der Tür treten und auf mich zukommen, in Tränen ausbrechen und sagen würde, Mensch, dich habe ich jahrelang gesucht, was für eine Entdeckung!
    Aber egal, wie langsam ich auch lief, auf meinen Durchbruch musste ich noch viele Jahre warten.
    So verging die Zeit. Ich entwickelte mich konstant weiter. Wohnungstechnisch gesehen zog ich von einer Bruchbude in die nächste, und als Komiker trat ich manchmal sogar schon vor bis zu zehn Leuten auf.

    Irgendwann wollte ich dann aber doch wieder zurück ins System. Ich wollte eine feste Adresse, vor allem eine eigene Wohnung. Krankenversicherung wäre auch schön, dachte ich mir. Da ich keine Versicherung hatte und keine Arztkosten hätte bezahlen können, fielen mir zum Beispiel mit den Jahren etliche Zähne aus. Damit sollte nun Schluss sein. Ich hatte keine Lust mehr auf Verstecken spielen.

    Natürlich geht man nicht besten und ruhigen Gewissens zum Einwohnermeldeamt, wenn man sich zwei Jahre lang verkrümelt hat.
    Wie Josef K. in Kafkas Prozess vor dem Gerichtsgebäude stand ich damals vor dem Einwohnermeldeamt in Berlin-Schöneberg und traute mich nicht richtig hinein. Ich hatte Angst. Dann habe ich mir ein Herz gefasst und bin in die Höhle des Löwen gegangen. Meine Sachbearbeiterin war eine ältere Dame, Typ Mutti.
    Sie haben also die letzten zwei Jahre »mal hier, mal da« gewohnt, wie Sie sagen?
    Das ist in der Sache korrekt, dachte ich, sprach es aber nicht aus. Mit großer Klappe war bei mir in dieser Situation nichts.
    Ja, sagte ich zu Mutti.
    Sie wissen schon, dass das strafbar ist?
    Ja, das wusste ich. Ich hatte nur keine Ahnung, was das Strafmaß ausmacht. Von Bußgeldern in Millionenhöhe bis Gefängnis schien mir alles möglich.
    Die ältere Dame wirkte auf mich

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