Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Mutter uns, was jetzt als Nächstes passieren wird: Wir werden gemeinsam Essen gehen.
Wenige Minuten später sitzen wir in einem einzig für uns zurechtgemachten viereckigen, schmucklosen Speiseraum. Für uns ist eine Tafel in U-Form gedeckt worden. Am Kopfende des Raumes befindet sich ein Büfett mit diversen warmen und kalten Speisen. Wir essen Hähnchen, Fleischklöße, Nudeln und Pommes.
Auf einmal wird die Tür aufgerissen, und Soldaten stürmen in den Raum. Ihre Schritte poltern, und ich höre Tankred neben mir schwer atmen. Ich vernehme eine Stimme, die mir bekannt vorkommt.
Wo ist er?, schallt es in strengem und lautem Militärton durch den Raum.
Meinen die mich? Sind die wegen mir hier?
Ich habe hier seine Tasche!, scheppert es.
In voller Kampfmontur mit Helm, Weste und Gewehr steht Hauptfeldwebel Kevin vor mir.
Krömer! Extra wegen Ihnen habe ich meinen Transport auf halber Strecke gewendet, und wir haben uns auf den Weg zurück zu Ihnen ins Hauptquartier gemacht, um Sie wieder in den Besitz Ihrer Tasche zu bringen.
Ich bin unglaublich froh, aber auch erschrocken, weil ich realisiere, was für Probleme das Umkehren hätte verursachen können. Wenn zum Beispiel das Fahrzeug von Hauptfeldwebel Taschenmann in dem Moment, in dem er umdrehte, um dem feinen Herrn Krömer sein Gepäck zurückzubringen, angegriffen worden wäre. Und das nur wegen einer blöden Tasche.
Nach dem Essen werde ich in mein Quartier gebracht. Es ist das sogenannte Gästehaus, in dem Generäle und ansonsten nur hoher Staatsbesuch untergebracht werden. Der einzige Luxus dieser Unterbringung besteht allerdings schon wie in Termez darin, dass man alleine schläft.
Noch drei Stunden bis zum ersten Auftritt vor den Soldaten. Ich packe meine Texte für meinen Auftritt zusammen, erschrecke durch mein lautes Moin, Moin einen Soldaten im Duschraum (seinen Rang erkenne ich nicht, denn er ist nackt) und gehe noch etwas im Camp spazieren.
Peter Kümmel
Je weiter man hineingeht, desto mehr hat man den Eindruck, nie mehr hinaus zu können. Das Hauptquartier ist wie ein innerstädtischer Panikraum, eine Festungsinsel, und es scheint einem wie Wahnsinn, diese Sicherheit je wieder aufzugeben.
Innen ist das HQ erstaunlich unspektakulär, ein Welt-Dorf aus Containern, auf eine ehemalige britische Sportanlage gepflanzt. Jeder kennt jeden, alte Kumpels von früheren Einsätzen werden mit großem Hallo begrüßt, 2200 Menschen aus 51 Nationen arrangieren sich auf einem Gelände, das in seinen Ausmaßen dem einer mittleren Campus-Uni ähnelt. Alkohol ist verboten, Sport wird exzessiv getrieben. Auch etliche Afghanen arbeiten hier, sie gelten als emsige Bauarbeiter und Handwerker, doch die Zubereitung der Speisen ist ihnen untersagt; das Misstrauen gegen die Einheimischen ist enorm.
Die Deutschen sagen, sie gälten hier als gute Gastgeber, sie haben in ihrem Gemeinschaftshaus oben einen Dachgarten, in dem sie die Fußballspiele aus der Bundesliga sehen und im Herbst ein »Oktoberfest« veranstalten. Nebenan steht das Amerikanische Haus; dessen Dachterrasse überragt, wie es sich gehört, das Haus der Deutschen um ein Stück.
Beiläufig wird erzählt, wie gefährlich der Ort ist, an dem wir hier sind: Am 15. April 2012 gab es den letzten großen Angriff aufs HQ und davor einen im Herbst 2011, dort hinten, in dem Hochhausrohbau, hätten sich zehn Aufständische verschanzt und aufs Gelände gefeuert. 27 Stunden habe das Gefecht gedauert. Ein Mann vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) sagt uns, es werden etwa 100 Suizid-Killer in der Stadt vermutet, man warte auf den Big Bang, der aber erstaunlicherweise nicht komme …
Ansonsten sei aber im Lager nichts los, sagt uns Lucky, ein tätowierter, braun gebrannter, in Kabul lebender Mann aus Belgien, der bei den Deutschen so etwas wie das Mädchen für alles ist: Früher habe es hier wenigstens manchmal Salsa und Karaoke gegeben, heute säßen die Soldaten in der Freizeit nur noch am Laptop und spielten Onlinespiele. Insofern kommt Krömer gerade recht.
Der erste Auftritt – alte Zeiten
Auf dem Tisch stehen eine Flasche Wasser und ein Glas. Draußen warten sie auf meinen Auftritt, und in meinem Kopf fliegen Erinnerungen von damals wie ein unkontrollierter Mückenschwarm wild umher. Ich muss mich noch mal kurz setzen und trinke das Glas leer. Die Neonröhre in dem kleinen Raum flackert.
Der Saal, in dem ich gleich auftreten werde, ist nicht sehr groß. Er erinnert mich an die Theaterräume in Schulen und
Weitere Kostenlose Bücher