Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
hat Platz für ungefähr siebzig Personen.
Irgendwie stoßen gerade in diesem kleinen Raum in Kabul im Headquarter der ISAF-Kräfte zwei Linien meines Lebens aufeinander. Soldaten und Bühne:
Von 1991 bis 1999 habe ich mich massiv mit der Bundeswehr angelegt. Zwei Jahre lang, von 1997 bis 1999, bin ich sogar komplett untergetaucht, um dadurch total zu verweigern.
Zur gleichen Zeit fanden damals meine ersten Auftritte statt. Mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Plötzlich bin ich wieder Mitte zwanzig. Ich sitze hinter der Bühne des Berliner Scheinbar Varietés . Ich bin aufgeregt. Nicht etwa, weil ich meinen Text vergessen könnte, denn ich habe gar keinen richtigen Text. Ich weiß zwar grob, was ich da gleich draußen auf der Bühne machen will, aber eine Dramaturgie im richtigen Sinne gibt es nicht. Meine Dramaturgie lautet: Ich gehe raus, das Publikum feiert mich ab, ich bringe den Saal zum Kochen und die Leute zum Rasen. Ich bekomme unglaublichen Applaus, gebe drei Zugaben, und ab morgen ist die Hütte hier jeden Abend gerammelt voll. Das ist mein Plan.
Von meiner Seite aus ist alles getan. Ich könnte rausgehen auf die Bühne. Das einzige Problem sind die Stühle. Sie sind leer.
Da sitze ich nun. Lehre abgebrochen. In einem leeren Theater, wo keiner kommt, der mich sehen möchte. Manchmal läuft’s einfach, denke ich mir.
Was definitiv feststeht, ist, dass man zu Hause nicht direkt beglückwünscht wird, wenn man beschließt, seine Lehre frühzeitig zu beenden.
Ich habe meine Mutter richtig stolz gemacht, als ich sagte, Mutter, ich höre auf mit der Lehre. Mir bringt das nichts. Ich erinnere mich genau. Sie sagte, Natürlich, mein Sohn! Hör doch auf mit der Lehre und werde einfach erfolgreicher Künstler. Wir füttern dich hier schon durch. Das ist alles kein Problem.
Soll ich Ihnen was sagen? Das ist gelogen. Keiner hat sich gefreut.
Die Ansage war klar: wenn nicht diese Lehre, dann eine andere. Aber mein Entschluss – damals mit knapp achtzehn Jahren – stand fest: die Lehre als Kaufmann im Einzelhandel wird abgebrochen. Und dann wird es schon irgendwie weitergehen. Um meiner Mutter die Schande zu ersparen, die Lehrstelle zu kündigen, sammelte ich so lange Abmahnungen, bis ich nicht mehr kündigen musste. So etwas kann ganz schnell gehen. Schon nach wenigen Tagen hatte ich mein Ziel erreicht und war ein freier Mann.
Doch was bedeutet frei? Du musst nicht zu dieser verhassten Arbeit und nicht in die beknackte Berufsschule gehen. Das ist gut. Auf der anderen Seite muss man irgendwo wohnen und irgendetwas essen. Dazu braucht man Geld. Und dafür braucht man einen Job. Den hatte ich nicht. Und das war nicht gut.
Ich war frei, aber ich war auch mittlerweile eine Persona non grata. In meiner Familie und meinem Freundeskreis.
Zu Hause habe ich das verstanden. Da macht man sich Sorgen, dass der Junge im Leben vielleicht nicht bestehen kann, wenn er so gänzlich ohne Handwerkszeug hinaustritt. Das ist bestimmt kein schönes Gefühl, und ich kann mir vorstellen, dass man sich als Elternteil auch als Versager fühlen kann, wenn man das Minimalziel für das Kind nicht erreicht hat.
Ganz abgesehen davon, was die Verwandten und Freunde noch von sich absondern und das Ganze damit noch schwerer machen. In spätestens zwei Jahren landet der in der Gosse. Oder: Das habe ich dir bei dem doch gleich gesagt, dass der nix taugt. Oder: Besuchst du ihn dann auch im Gefängnis?
Das alles sind Dinge, die eine Mutter nicht gerne über ihren Sprössling hört.
Aber auch im Freundeskreis kam, wie gesagt, mein Entschluss, die Lehre zu schmeißen, nicht gut an. Auf einmal war ich der vogelfreie Außenseiter. Es war ja nicht so, dass es andere nicht auch angekotzt hätte, was sie machen mussten, aber sie haben halt Augen und Hintern zusammengekniffen und weitergemacht. Und wenn du auf einmal aus der Reihe tanzt, dann hältst du ihnen ja quasi einen Spiegel vor. Also ist dein Scheitern für sie eine Herzensangelegenheit, alleine um sich zu beweisen, dass sie selbst auf dem richtigen Weg sind. Und so einen, der sowieso schon gescheitert ist, den lädt man jetzt auch nicht mehr zu sich ein oder trifft sich mit ihm. So einen will man nicht um sich haben.
Zu dieser Zeit hat sich in meinem Freundeskreis die Spreu vom Weizen getrennt. Besser gesagt die Spreu und der Weizen haben sich von mir getrennt. Das erste Mal in meinem Leben habe ich mich einsam gefühlt. Aber heute kommt mir das sehr zugute, denn
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