Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Morgen wie verabredet vor unserem Hotel. Omid bog mit seinem Auto um die Ecke und nahm uns auf. Während der Fahrt nach Bagram fragte ich Omid, was eigentlich mit dem Schrott und Müll der deutschen Soldaten passierte. Omid lacht, die Deutschen sind in dieser Hinsicht sehr deutsch. Die nehmen ihren Schrott wieder mit nach Hause. Jetzt lachen alle.
Irgendwann biegen wir nach links ab und sind auf einer Straße, die direkt in die Sonne zu führen scheint. Links und rechts befinden sich bewachte Einfahrten, und unser Auto wird gemustert. La Fee muss die Kamera sofort runternehmen.
Nach neunzigminütiger Autofahrt sind wir da. Wir steigen aus.
Von Omid bekommen wir die Anweisung, kein Wort zu sprechen, solange Menschen in unserer Nähe seien. Reden wird ausschließlich er.
Drehen tun wir hier nur mit den kleinen GoPros, und die müssen wir so in unseren Händen verstecken, dass sie niemand sieht. Wir gehen durch eine Einfahrt an den Wachen vorbei. Nichts geschieht, keiner hält uns auf. Wir haben es geschafft, wir sind unerkannt zu dem geheimen Schrottplatz der Amerikaner gelangt. Wir sehen Bagger und Raupen, die durch den Schrott pflügen. Ich war auch schon in Deutschland auf Schrottplätzen, aber etwas in dieser Größe habe ich noch nie gesehen. Hier liegt alles. Kaputte Autos, Ersatzteile und Berge von Schrauben, Klimaanlagen, Kühlschränke, Bootsteile, Längsstreben, Querstreben, Schreibtische, halbe Werkstätten, Rasenmäher, Motoren, Lampen, ausgepackter Schrott, nie ausgepackter Schrott, neu verpackter Schrott, und das alles meterhoch. Wir schleichen uns an Arbeitern vorbei. Es geht weiter und immer weiter. Es ist unheimlich. Tankred geht hinter mir und scheint wahnsinnig zu werden.
Müllberge in Bagram
Er sagt ein Gedicht auf:
Und ich wandere aus den Mauern
bis hinaus aufs freie Feld.
Hehres Glänzen, heil’ges Schauern
ganz voll Schrott ist unsere Welt!
Ab und zu sieht man Schuppen oder Riesenregale, in denen der Schrott schon sortiert worden ist. Ich klettere auf einen etwa dreieinhalb Meter hohen Haufen Schrott und schwenke meine Kamera über die nicht endenwollenden Berge voll nutzlosen Mülls. Schrott, so weit das Auge reicht.
Wir können nicht einmal entfernt schätzen, wie viele Tonnen hier liegen und wofür dies alles einmal bestimmt war. Ob sich noch Giftstoffe in dem Schrott befinden, scheint an diesem Ort das geringste Problem zu sein. Ich schätze die Fläche so groß ein wie fünfzig Fußballfelder.
Fließendes Wasser und Strom, hat man uns gesagt, wünschen sich die Afghanen. Was sie stattdessen hiermit sollen, das verstehen wir nicht.
Auf dem Weg zurück zum Auto sind wir alle schweigsam.
Zurück im Büro, ist man froh, dass wir wieder da sind. Alle haben gerade eine SMS erhalten: Die UN warnt vor Selbstmordattentätern, die sich in der Stadt befinden sollen. White City! Ausgangssperre! Für alle! Wir müssen ab jetzt zu Hause bleiben und dort warten, bis wieder grünes Licht gegeben wird.
White City – mein erstes ernsthaftes Interview
Auch wenn der Vergleich naiv ist, man fühlt sich bei White City ein bisschen wie ein Kind mit gebrochenem Bein bei Regenwetter. Man kann nicht raus, und selbst wenn man könnte, hat man nicht die volle Bewegungsfreiheit.
Wir befinden uns im Hotel und setzen uns an den Pool. Der Pool ist, wie das gesamte Hotel, in den Siebzigerjahren gebaut worden und hat deutlich bessere Zeiten erlebt. Bahram und ich nehmen am Rand Platz.
Auf der rechten Seite des Hotelhofs liegt ein großer Haufen zusammengeschippter Schneematsch, von der anderen Seite scheint die Sonne in das grüne Wasser des Pools und bringt es zum Blinken. Direkt vor uns steht der Taubenschlag. Schmutziger Winter, sonniger Frühling und in der Mitte Friedenstauben hinter Gittern. Wenn das mal nicht die Lage in Afghanistan widerspiegelt. Wir bekommen Tee und Nüsse serviert, und ich führe gleich das erste ernsthafte Interview meines Lebens.
KK: Wir wollten eigentlich jetzt auf den Markt gehen. Shopping im Market in Kabul City. Aber jetzt kam die Nachricht von der UN …
Bahram: No movement! Das muss man – leider, sage ich immer –, das muss man ernst nehmen. Die Sicherheit darf nicht Routine werden in diesem Land.
KK: Das heißt, jeder hat eine SMS bekommen, in der steht: »Attentat-Alarm, keiner darf das Haus verlassen.«
Bahram: Das Erfreuliche daran ist, dass die afghanischen Geheimdienstleute hier in Kabul mittlerweile sehr gut sind, sie bekommen viele Informationen
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