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Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan

Titel: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Krömer
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vergessen.
    Bahram lächelt und nickt mir erneut zu.
    Weltweit die gleiche Scheiße , sage ich zu Bahram. Nun lachen wir beide.
    Wir kommen auf das Massaker im Hotel zu sprechen. Bahram erzählt mir, dass es an jenem Abend 2012 im Hotel gar keine ausschweifende Feier gegeben hatte. Es war auch kein Alkohol ausgeschenkt worden. Er sagt, als die Taliban im Nachhinein davon erfuhren, habe es ihnen leidgetan. Zwölf Stunden Gefecht, sechsundzwanzig Tote. Das tut uns aber leid. Für die Taliban kein Problem. Denn nicht nur die Selbstmordattentäter, sondern auch die unschuldigen Zivilisten, die bei solchen Anschlägen mit in den Tod gerissen werden, würden ohne Umschweife in den Himmel kommen und von Jungfrauen umringt sein.
    Ich muss auf die Toilette, der beißende Ammoniakgestank, der in der Luft liegt, gibt mir den Rest. Ich übergebe mich.

Ein Gespräch mit Sibghatullah Modschaddedi
    Am Abend zuvor hatte uns Bahram gefragt, ob wir Interesse hätten, Sibghatullah Modschaddedi zu interviewen. Ich muss zugeben, dass ich im ersten Moment nicht wusste, von wem er sprach.
    Bahram zeigte uns im Internet dann einige Bilder von Sibghatullah Modschaddedi, und ganz langsam fiel bei mir der Groschen.
    Er war der Anführer der Nationalen Befreiungsfront Afghanistans, unter den Sowjets inhaftiert und ein paar Jahre im Exil. Nach dem Zerfall der UdSSR wurde er dann 1992 für wenige Monate der erste Präsident des islamischen Staates Afghanistan. Die Taliban wiederum stellten ihn kalt, und erst nachdem diese aus Kabul vertrieben waren, konnte er in die Politik zurückkehren. Seit 2005 ist er der Vorsitzende der Nationalen Kommission für Frieden in Afghanistan.
    Wir waren begeistert, als wir uns seinen Lebenslauf anschauten. Allerdings: warum sollte so ein Mann mit mir sprechen wollen?
    Bahram lächelte und rief ihn an. Die beiden redeten. Natürlich habe ich kein Wort verstanden. Als Bahram auflegte, lächelte er noch mehr.
    Du bist morgen um Viertel vor drei mit Modschaddedi verabredet. Nach seiner Besprechung mit dem amerikanischen Botschafter.
    Doch auch nach mehreren Hinweisen, dass ich kein politischer Journalist bin, lässt Bahram nicht locker. Wenn man die Möglichkeit hat, egal, ob Komiker oder Journalist, in Kabul mit Sibghatullah Modschaddedi zu sprechen, dann muss man das tun!, fügte Bahram mit einem Ton hinzu, der jegliche Widerworte ausschloss.

    Nun sitzen wir also im Auto und biegen in eine engere Straße, um auf das Grundstück von Modschaddedi zu fahren.
    Ich habe die Hosen gestrichen voll. Aus Respekt vor diesem sechsundachtzig Jahre alten Mann. Was um Himmels willen soll ich diesen Mann fragen?, schießt es mir andauernd durch den Kopf.
    Wir passieren einen Friedhof. Es wird gerade jemand beerdigt. Überall auf dem Weg parken Autos, und Trauergäste steigen aus. Der Friedhof liegt an einem kleinen Hügel und sieht mit dem Schnee auf den Grabsteinen sehr friedlich aus. Wir fahren im Schritttempo vorbei, um kurz danach in eine kleinere Straße einzubiegen.
    Hier , sagt Bahram, wohnt Modschaddedi . Ich schaue aus dem Fenster. Modschaddedi wohnt nicht in einem Haus, sondern in einer streng vom Militär bewachten Siedlung.
    Eigentlich in einem kleinen Dorf in der Stadt. Wenn Modschaddedi sein Haus verlässt, dann nur in einem Konvoi von Panzerwagen.
    2006 gab es einen Anschlag auf ihn. Er hat viele Gegner, die ihn lieber tot als lebendig sehen würden. Was jetzt schon klar ist, Sibghatullah Modschaddedi ist kein gewöhnlicher Sechsundachtzigjähriger. Er geht weder Enten füttern noch macht er Busreisen zum Gardasee. In seinem Wohnzimmer wird aktiv Politik gemacht.

    Wir fahren durch das erste Tor in die Siedlung. Man erkennt zwar unseren Sicherheitschef, aber trotzdem werden Spiegel unter die Wagen gehalten. Bewaffnete Sicherheitsleute mustern uns, und erst dann dürfen wir durch. Auf einem Parkplatz steigen wir aus und sammeln uns. Wir sind alle ein bisschen aufgeregt. Hinter dem Parkplatz geht es durch ein Wachhaus. Hier werden unsere Sachen geröntgt, und wir müssen durch eine Schleuse und werden abgetastet. Die Wachen wissen, dass ein Filmteam kommt, und prüfen uns nur auf Herz, nicht auf Nieren. Wir dürfen durch und gehen ein Stück die Straße hoch, bis wir vor einem größeren Eingang stehen. Vor diesem Eingang stehen Menschen, die sich die Schuhe ausziehen. Ich will es ihnen gleichtun, werde aber von Bahram weitergeschubst.
    Warum soll ich mir nicht die Schuhe ausziehen, wenn die anderen es auch machen?

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