Ein Bär im Betstuhl
des Wurfbogens. Der Pastor setzte den Messstab an die richtige Stelle, und nach einer kurzen Rechenoperation kamen beide zu bemerkenswerten vierzehn Meter vierzig. Das war Jari Mäkeläs Spitzenergebnis in diesem Sommer, und be sonders wertvoll auch deshalb, weil er zum ersten Mal aus einem Brunnen geworfen hatte. Bisher hatte er schließlich nur im Getreidesilo und in seiner Trock nungsanlage trainiert.
Noch vier weitere Speere flogen aus dem Brunnen. Zwei Würfe blieben unter dem Ergebnis des ersten, der dritte Speer fiel in den Brunnen zurück, worauf von dort kräftige Flüche ertönten. Beim letzten Wurf verbesserte Jari sein Ergebnis noch einmal um zwanzig Zentimeter. Den Speer, der zurückgefallen war, warf er nicht noch einmal, da er die Regeln so auslegte, dass Fehlwürfe nicht wiederholt werden durften.
Jari stieg aus dem Brunnen, prüfte sorgfältig die Er gebnisse und notierte sie in einem Heft mit schwarzem Deckel. Er war in jeder Hinsicht zufrieden mit dem Erreichten. Und auch die Großmutter war stolz auf ihren Enkelsohn.
»Der Jari hat schon immer Spaß am Werfen gehabt. Als kleiner Junge hat er mal die Uhr seines Großvaters in den See geworfen. Sie landete so weit draußen, dass mein Alter sie nie mehr gefunden hat, obwohl er den ganzen Sommer danach getaucht ist. Aaretti wurde der beste Schwimmer von Nummenpää, hat sogar am Län derkampf im Wasserball teilgenommen.«
Der Besitzer des Hofes, Juuso Rekitaival, wollte eben falls sein Können erproben. Er erzählte, dass er in jün geren Jahren Diskuswerfen und Kugelstoßen betrieben habe, aber Jari sagte ihm, dass der Brunnen fürs Dis kuswerfen zu eng sei, und Kugelstoßen sei zu gefährlich.
»Wenn dir die Eisenkugel auf den Kopf knallt, bleibt nicht mal der festeste Helm heil«, wusste er zu berich ten, da er in seiner Trocknungsanlage bereits einmal probiert hatte, die Kugel nach oben zu stoßen.
Der Bauer brachte es mit fünf Speeren zu recht or dentlichen Ergebnissen, aber sein bester Wurf blieb trotzdem ganze anderthalb Meter unter Jaris Rekord.
Alle redeten Pastor Huuskonen zu, sich ebenfalls in der neuen Disziplin zu erproben. Er hatte zwar Interes se, aber die Würde seines Amtes setzte ihm gewisse Grenzen. Schließlich gab er nach, und so ließ man ihn in den Brunnen hinab. Huuskonen war ein stämmiger Mann, sodass es einige Zeit dauerte, bis er die richtige Wurfhaltung gefunden hatte. Der Senkrechtspeerwurf unterscheidet sich nämlich in vielerlei Hinsicht vom waagerechten: Der Speer wird in die rechte Hand ge nommen und an den rechten Oberschenkel gehalten, wobei die linke Hand von schräg unten die Speerspitze stützt. Der Abwurf selbst erfolgt durch eine plötzliche Bewegung mit halber Drehung, wobei man aufpassen muss, nicht mit dem Ellenbogen gegen den Brunnenring zu stoßen. Es ist erlaubt, sich links an der Brunnen wand abzustützen. Die rechte Hand gibt dem Speer überraschend viel Schwung. Sämtliche Würfe des Pas tors glückten. Sein bestes Ergebnis waren zwölf Meter siebzig, was in seiner Altersklasse wirklich ausgezeich net genannt werden kann.
Den Bären Sapperlot faszinierte der Wettkampf der maßen, dass er immer wieder in den Brunnen hinein spähte, sodass er Gefahr lief, von einem Speer aufge spießt zu werden. Daraufhin schloss man ihn in der Fahrerkabine des Traktors ein, aus der er mit sachkun digem Blick den Fortgang der Übungen verfolgte.
Die Zeit verging wie im Flug. Es wurde Abend und be gann zu dämmern. Jari Mäkeläs Oma klagte, dass sie die Ergebnisse nicht mehr genau registrieren könne, mit zunehmendem Alter sei sie nachtblind geworden. Pastor Huuskonen kam auf die Idee, an der Speerspitze mit Isolierband eine Taschenlampe zu befestigen, damit man die aus dem Brunnen sausenden Speere auch im Dun keln genau sehen könne. Diese an sich hervorragende Idee erwies sich jedoch als zu teuer, denn wenn der Speer gegen den Brunnendeckel oder auf das Hofpflaster schlug, zerbrachen das Glas und der Brenner der Lam pe. Die Männer lösten das Problem, indem sie die Ta schenlampe gegen eine Wunderkerze austauschten, die der Werfer jeweils unten im Brunnen vor dem Wurf anzündete. Auf diese Weise wurde der ganze Weih nachtsbaumschmuck des Hauses Rekitaival an einem einzigen Abend verbraucht, aber andererseits sah es prachtvoll aus, wenn in der Dunkelheit zischende, fun kelnde Speere aus dem Brunnen schossen wie bei einem Feuerwerk.
EIN SEELSORGERISCHES GESPRÄCH
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